Die Küste von Tonkin.
Im Auftrage der Direktion der Seewarte aus dem neuesten französischen
vom Hülfsarbeiter Kapt.-Lieut. a. D. WISLICENUS,
Segelhandbuch übersetzt
Alle Richtungsangaben sind rechtweisend.
Mifsweisung für 1895: 2° Ost, Abnahme I’ jährlich.
Der Golf von Tonkin ist die grofse Buchtung der Küste zwischen den
Breitenparallelen von 17° und 22°; im Westen der Bucht liegt die Küste von
Tonkin, im Osten die Insel Hainan und die Halbinsel Lei-shao. ;
Lothungen. Im ganzen Golf sind die Lothungen unregelmäfsig. Zwischen
dem Kap Lay und Hainan findet man 90 bis 100 m; zwischen dem Kap Lay
und dem Flusse Kua Dong Hoi liegt die 20 m-Grenze mindestens 2 Sm
vom Lande ab; weiter nordwärts, bis zur Mündung des rothen Flusses, liegt
diese Grenze abwechselnd zwischen 12 und 6 Sm vom Lande ab. Dort müssen
flache Stellen im Golf liegen, denn stellenweise findet man auffällig kurzen und
heftigen Seegang, sobald frische Briese weht. Die ‚Rolla“ fand auf 17° 25’ N-Br,
nordwärts von der Tigerinsel, eine Bank von 18 m Tiefe mitten zwischen Tiefen
von 46, 55 und 65 m; diese Bank ist noch nicht genau vermessen worden.
Bemerkung, An den Küsten von Annam und Tonkin trifft man oft, bis
auf 25 und 30 Sm Abstand vom Lande, grofse Schwimmer, die aus zwei bis drei
langen Bambusstangen zusammengesetzt sind und die mit einem schweren Steine
verankert sind. Diese Schwimmer, die meistens mit einem Lappen bezeichnet
sind, tragen das eine Ende eines Treibnetzes, dessen anderes Ende von einem
grofsen Sampan getragen wird; man vermeide es, zwischen dem Sampan und
den Bambusstangen hindurchzugehen. In denselben Gewässern und an der Küste
von Hainan trifft man Stellen schlammigen Wassers, die Sandbänken ähnlich
sehen, während man doch mit dem Loth grofse Tiefen findet.
Winde. Der Golf von Tonkin hat zwei Jahreszeiten: die trockene Jahres-
zeit und die Regenzeit; letztere ist die Zeit der grofsen Hitze, sie liegt zwischen
Ende April und Mitte Oktober. Dann herrschen südöstliche, zuweilen auch süd-
westliche Winde vor dem Golf zwischen Tourane und Hainan; diese Winde sind
in Stärke und Richtung veränderlich. Von Juni bis September sind Stürme
häufig, und heftige Regengüsse dauern zuweilen mehrere Tage ohne Unterbrechung
an. Die Luftwärme ist sehr hoch und überschreitet oft 35°. Von Ende Oktober
an drehen die Winde nordwärts, und der Nordostmonsun setzt allmählich ein.
Dann findet man veränderliche Winde in dem Theile des Golfes, der in Lee von
Hainan liegt. Im November fällt das Thermometer meistens ganz plötzlich;
das Wetter wird trocken und schön. Im Dezember beginnen die Nebel, die
häufig von Regen begleitet sind; der Wärmeunterschied zwischen dem Tage und
der Nacht wird beträchtlich. Der Januar ist der kälteste Monat; man hat dann
nachts schon 7° beobachtet. Man kann sagen, dafs der Winter im Ganzen in
Tonkin vier Monate lang ist, vom 15. November bis zum 15. März. Vom
November bis zum April ist der Golf, wie eine Art von grofsem Condensator,
voller Nebel, die die Sonne zuweilen 60 Tage lang verschleiern und die Schiff-
fahrt sehr gefährden.
Taifune. Der Golf von Tonkin wird fast alljährlich von diesen Wirbel-
stürmen heimgesucht, und zwar besonders im September und Oktober, in der
Ann. d. Hvär. ale... 1894. Beiheft IL