102 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, November 1894.
von Süden und Norden kommenden Mondwellen mit entgegengesetzten Phasen
zusammentreffen, sich also subtrahiren) nicht an demselben Orte läge mit dem
Knoten der Sonnenwellen, und dafs der erstere Courtown näher läge als der
letztere. Es würde zu weit führen, wenn wir hier näher darauf eingehen
wollten, und wir gehen zu dem letzten Punkte, der Erklärung der Strömungs-
erscheinungen, über.
In Betreff dieser können wir uns ziemlich kurz fassen. Was zunächst den
Umstand betrifft, dafs die stärkste und schwächste Strömung bezw. an den Orten
des geringsten und gröfsten Fluthwechsels gefunden wird, so ist dies vollkommen
in Einklang mit der Theorie zweier Wellen, welche sich in nahe entgegen-
gesetzten Richtungen kreuzen, wie wir hier jedoch ohne Anwendung von Formeln
nicht näher nachweisen können. Auch der gänzliche Mangel an Strömung west-
lich von der Insel Man trotz des dort vorhandenen grofen Fluthwechsels von
4,9 bis 6 m ist ganz im Einklang mit der Theorie. Die Voraussetzungen dafür
sind, dafs 1. beide Wellen gleiche Höhe haben, 2. sich in entgegengesetzter
Richtung fortpflanzen und 3. mit gleichen Phasen zusammentreffen, Voraussetzungen,
welche sicher in dem fraglichen Gebiete erfüllt sind, denn der Verlauf der Fluth-
wechsel längs der beiderseitigen Küsten zeigt, dals gerade dort derselbe sein
Maximum hat, die Wellen also mit gleichen Phasen zusammentreffen; dafs die
Wellen sich in entgegengesetzter Richtung fortpflanzen ist überaus wahrscheinlich,
weil sich die Wellen zwischen der irischen Küste und der Insel Man fortbewegen
müssen, wo sie kaum andere Fortpflanzungsrichtungen haben können als rein
Süd und rein Nord; endlich mufs nach dem, was wir oben über die wahrschein-
liche Aenderung der Höhe der Wellen auf ihrem Wege nach Süd und Nord
gesagt haben, sich irgendwo ein Punkt finden, wo ihre Höhen gleich sind, und es
ist mehr als wahrscheinlich, daß wir diesen Punkt in diesem Gebiete zu suchen
haben. Da die genannten drei Bedingungen nicht über eine gröfsere Strecke
gleichzeitig erfüllt sein können, so ist es klar, dafs das Gebiet der absoluten
Stromstille räumlich nur wenig ausgedehnt sein kann.
Die Stromrichtung folgt wie die Fortschreitungsrichtung der Hafenzeiten
der Fortpflanzungsrichtung der gröfseren Welle, und da die von Süden kommende
Welle bei ihrem Fortschreiten nach Norden, ebenso wie umgekehrt die von
Norden kommende Welle auf ihrem Wege nach Süden, in Höhe abnebmen muß,
30 wird im südlichen Theile die südliche, im nördlichen Theile die nördliche
Welle die höhere sein und die Stromrichtung bestimmen. Daher sehen wir auch
im Süden den Fluthstrom nach Nord und NO, im Norden nach Süd bezw. nach
SO fliefsen, bis sie sich in der lrischen See (entsprechend ihrer ursprünglichen
Richtung) vereinigen. Der Ebbestrom schlägt natürlich die entgegengesetzten
Richtungen ein.
Bezüglich der eigenthümlichen Erscheinung, daß in dem ganzen Irischen
Kanal der Stromwechsel sich zu derselben Zeit, und zwar zur Zeit des Hoch-
und Niedrigwassers, auf der Linie Morecambe-Bay-- Cranfield Point vollzieht,
verweisen wir auf das „Segelhandbuch des Englischen Kanals“, I. Theil, Seite 28 und
44 f., wo die analoge Erscheinung im Englischen Kanal und dem südlichen Theile
der Nordsee erklärt wird. Während aber dort die Gleichzeitigkeit des Strom-
wechsels sich nur über je ein verhältnifsmäfsig kleines Gebiet beiderseits der
Linie, wo die Wellen mit gleichen Phasen zusammentreffen (Hastings—Treport)
erstreckt, finden wir bier diese Erscheinung in dem ganzen Gebiete des Irischen
Kanals, einschließlich der Gegend gleicher Phase der Wellen. Um dies zu er-
klären, sei auf Seite 29 des „Segelhandbuchs des Englischen Kanals“ verwiesen,
wo gesagt wird, dafs der Stromwechsel mit Hoch- und Niedrigwasser zusammen-
falle, wenn die Höhen der beiden Wellen einander gleich sind. Es wurde schen
aus mehreren anderen Erscheinungen geschlossen, dafs thatsächlich die Gegend
gleicher Phase auch die Gegend gleicher Höhe beider Wellen sei, es folgt also,
dafs in dieser Gegend Stromwechsel mit Hoch- und Niedrigwasser zusammenfallen
mufs, und so hat die Thatsache, dafs der Stromwechsel im ganzen Kanal gleich-
zeitig stattündet, nichts Auffallendes mehr. |
Hiermit sind alle Erscheinungen, welche sich der Aufmerksamkeit dar-
bieten, auf ihre natürlichen Ursachen zurückgeführt, und wenn auch die Mannig-
faltigkeit der Verhältnisse: Wassertiefe und Küstengestaltung einen zahlenmäfigen
Nachweis nur in sehr beschränktem Male gestatten, so kann doch nicht wohl