368 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, Oktober 1894.
nur ungenügend bekannt. Wenn wir aber die Abdachung des Bodens in der
Nähe von Land da betrachten, wo es dem vollen Einflufs des Oceans ausgesetzt
ist, dann sind wir überrascht durch die ganz allgemeine reilßsend schnelle Zu-
nahme der Böschung, sobald eine Tiefe von etwa 80 bis 100 Faden (500 bis
600 Fufs) erreicht ist. Die Wahrscheinlichkeit liegt vor, dafs dies mit der Tiefe
zusammenhängt, bis zu der die Wellenwirkung reicht, indem die kleinen festen
Bestandtheile von Flüssen herabgeführt oder vom Lande durch das Nagen der
Brandung abgewaschen, vertheilt und allmählich die Böschung hinab bewegt
werden. Sehen wir uns aber Bänke in der offenen See genauer an, so finden
wir sehr viele mit einer mittleren Tiefe von 30 bis 40 Faden, und die Frage
entsteht, ob dies nicht die allgemeine Tiefengrenze der Macht der Meereswellen
ist, bis zu der sie die ihrer Einwirkung ausgesetzten Massen zerkleinern, wenn
sie einigermafsen zerreibbar sind.
Die Frage ist auch interessant mit Bezug auf die ewig umstrittene Ent-
stehung von Atollen, denn dies ist die allgemeine Tiefe vieler grofsen
Lagunen; und angenommen, dafs die See Land bis zu dieser Tiefe abrasiren
kann, so haben wir sofort eine Annäherung an die Lösung der Aufgabe, Grund-
flächen von passender Tiefe und passendem Material zu bilden, auf denen das
Korallenthier seine Thätigkeit beginnen kann. Diese Frage wartet auch auf
mehr Licht, und ich mache mit dieser Bemerkung lediglich eine Andeutung.
Aber es ist doch merkwürdig, dafs neuerdings durch unterseeische Ausbrüche
aufgeworfene vulkanische Inseln alle mehr oder weniger schnell weggewaschen
worden und unterhalb der Oberfläche noch weiter in Abnahme begriffen sind,
Beobachtungen über den mittleren Meeresspiegel zeigen, daß er
beständig wechselt, an einigen Stellen mehr als an anderen. Dieser Punkt ist
noch nicht vollständig bearbeitet worden. In einigen Gegenden ist die Schwan-
kung offenbar dem Wind zu verdanken, wie im Rothen Meer, wo der Wasser-
spiegel im Sommer 2 Fufs tiefer liegt als im Winter, weil im Sommer der Wind
die ganze Länge des Meeres hinunter weht und das Wasser hinaustreibt. An
manchen Orten, so in dem grofsen Mündungsgebiet des Rio de la Plata, wechselt
der Spiegel fortwährend mit der Richtung der Winde, und die hierdurch ver-
ursachte Schwankung ist viel beträchtlicher als die der Gezeiten. An anderen
Orten ist die Ursache nicht so klar. Herr Russell fand in Sydney, Neu-Süd-
Wales, dafs der Spiegel im Laufe von 11 Jahren beständig fiel, etwa 1 Zoll im
Jahre, aber nach den zuletzt erhaltenen Berichten war er wieder stetig.
Die Aenderungen in dem Luftdruck spielen eine wichtige Rolle bei
Aenderungen des Meeresspiegels. Ein Unterschied von 1 Zoll (25 mm) im
Barometer hat nachgewiesenermafsen einen Unterschied von 1 Fufs in dem
mittleren Meeresspiegel zur Folge gehabt, und in den Gegenden der Erde, wo
die mittlere Barometerhöhe mit den Jahreszeiten sehr wechselt und der Fluth-
wechsel gering ist, da ist dieser Einflufßs sehr bemerkbar.
Ueber Säkularänderungen des Meeresspiegels ist wenig bekannt.
Sie können nur durch Vergleich mit dem Lande gemessen werden, und es fragt
sich, was unbeständiger ist, das Land oder das Wasser; wahrscheinlich das Land,
da nachgewiesen ist, dafs die Masse des Landes im Vergleich zum Ocean so
geringfügig ist, dafs eine grofse Menge Land dazu gehören würde, den allge-
meinen mittleren Meeresspiegel zu ändern.
Alle Punkte in Verbindung mit der See, die ich die Ehre hatte, Ihnen
vorzuführen, bilden einen Theil der täglichen Beobachtung des nautischen Ver-
messers, wenn er Gelegenheit dazu hat, aber ich kann nicht umhin, auch andere
Pflichten zu erwähnen, denen er bei dem gegenwärtigen Zustand unserer Kennt-
nisse und der praktischen Bedürfnisse der Seefahrt vor allem Andern seine Auf-
merksamkeit zu widmen hat, da dies eine Erklärung dafür abgeben kann, warum
unsere Kenntnifs über so viele interessante Punkte noch so sehr unvollkommen ist.
Da wir im Interesse der ausgedehnten Marine Grofsbritanniens arbeiten,
verlangt das wichtigste Bedürfnifs derselben, verläfsliche Seekarten, dafs die
Herausgabe solcher Karten unsere Hauptaufgabe sei. Für eine Landratte
und selbst für einen Seemann, der nie eine solche Arbeit ausgeführt hat, ist es
schwer, zu verstehen, wie viel Zeit dazu gehört, um eine wirklich vollständige
nautische Vermessung auszuführen. Der wichtigste Theil der Arbeit, die Be-
stimmung der Tiefe, geschieht gewissermafsen im Dunkeln — d. h. wir müssen