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Full text: Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie, 22 (1894)

292 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, Januar 1894. 
durch Ein- und Ausstrahlung bedingt werden; also nicht nur die vom Kontinent, 
sondern auch die vom Ocean kommenden Winde, soweit ihre jahreszeitliche 
Periode nicht allein von der Verschiebung der planetarischen Windgürtel nach 
dem Sonnenstande bedingt ist. Eine Scheidung beider Gruppen ist nur selten 
möglich, die Kombination von planetarischen und kontinentalen Winden, welche 
dem betreffenden Orte eigen ist, liefert „die allgemeinen oder vorwaltenden 
Winde“ („general winds“). 
Die jahreszeitlich schwankenden Winde sind naturgemäfs vorwiegend in 
den Küstengegenden vertreten. Wir sehen deren Gebiete deshalb auch auf unserer 
Karte sich in sehr charakteristischer Weise nach der Mitte des Oceans auskeilen., 
Bei der Länge des Erdjahres haben sie immerhin Zeit, sich stellenweise so aus- 
zubilden, dafs sie von der Mitte des Oceans bis zum Herzen des Kontinents 
reichen. Dagegen sind die Gegensätze zwischen Land und Wasser, welche sich 
im Laufe des Tages und der Nacht einstellen, so kurzlebig, dafs die durch sie 
hervorgerufenen Winde nur bis zu geringer Entfernung von der Küste sich aus- 
bilden können: das sind die Land- und Seebriesen. Sie sind am besten entwickelt 
in den geringen allgemeinen Gradienten und dem beständigen Wetter der Tropen- 
zone und anticyklonischer Frühlings- und Sommertage bei uns. 
Diese drei Klassen von Winden würden auch auf einer ganz ebenen Erde 
auftreten; die folgende Klasse aber wird durch die stärkere Ein- und Aus- 
strahlung der Gebirge im Vergleich zur umgebenden freien Atmospäre bedingt; 
dadurch wird ein Wind thalaufwärts am Tage, thalabwärts in der Nacht erzeugt. 
Unter gewissen Umständen wird das Gleichgewicht der Atmosphäre auf- 
gehoben durch zu grofse Wärme der unteren und zu grofse Kälte der oberen 
Schichten. Der häufigste Fall dieser Art ist in den Staubwirbeln und Sandhosen 
der Wüsten gegeben, welche eine Folge der übermäfsigen Erhitzung der unteren 
Luft durch die Sonne sind. Auch die tägliche Periode in der Windrichtung und 
der Windstärke auf den Festländern, wie sie für erstere durch Espy und Köppen, 
für letztere durch Sprung erklärt ist, rührt von ähnlichen, aber geringeren 
Störungen des Gleichgewichts her. Sie besteht darin, dafs der Wind am Boden 
um die wärmere Tageszeit stärker und weiter von rechts (auf der Südhalbkugel 
von links) weht als in der Nacht, während in einiger Höhe über dem Erdboden 
das Verhältnifs sich umkehrt. 
Ebenso kann aber das Gleichgewicht auch durch Abkühlung der oberen 
Luft gestört werden; nur ändert die obere Luft ihre Temperatur zu wenig durch 
Strahlung, um dieses direkt zu bewirken. Wohl aber kann die Luft auf einem 
Plateau im Winter und in der Nacht sich so weit unter die Temperatur am 
Fuße desselben abkühlen, dafs ein Gleichgewicht unmöglich ist und sie mit Ge- 
walt, als verheerender Luftkatarakt, herabstürzt. So entsteht die Bora, unter 
Mitwirkung einer allgemeinen hezw. cyklonischen Luftströmung, welche die Luft 
über das Plateau fortschiebt, als lokale Verstärkung eines ausgedehnteren, ander- 
wärts nur schwachen Luftstroms bei dessen Uebergang von einem kalten Plateau 
auf ein warmes Meer. 
Noch mehr tritt diese cyklonische Mitwirkung beim Föhn hervor, der 
gleichfalls ein Fallwind und trocken, aber dabei warm ist, weil der vertikale 
Temperaturunterschied vor seinem Eintritt nicht grofs genug ist, um die Er- 
wärmung der Luft bei ihrer Zusammendrückung im Absteigen auszugleichen. 
Den Föhn rechnet Davis bereits zu seiner letzten Klasse, weil sein Herab- 
steigen nicht durch die vertikale Temperaturdifferenz, sondern nur durch die 
cyklonische Luftströmung und die ihr entsprechenden Druckdifferenzen zu erklären 
ist, welche die Luft aus den Thälern aussaugt, „zuspumpt“, die sich dann wegen 
der Gebirgsmauer im Rücken nur von oben ergänzen kann. Der Chinook an 
der Ostseite der Rocky Mountains ist auch ein Föhn. 
Andere hervorragende Specialformen cyklonischer Winde sind die warmen 
Aequatorialwinde auf der Ostseite und die kalten Polarwinde auf der Westseite 
einer Cyklone unserer Breiten, die Gewitterböen, Tornados u. s. w. Uebrigens 
hat Herr Davis bei der Bezeichnung „cyklonische Winde“, ebenso wie bei der- 
jenigen der „kontinentalen Winde“ dem Worte einen weiteren Sinn gegeben, als 
gebräuchlich, indem er auch die Winde der Anticyklonen in diese Klasse rechnet, 
so weit gie nicht schon zu einer der anderen gehören, d. h. so weit die Anticyklonen 
beweglich und von kurzer Lebensdauer resp. von unperiodischem Auftreten sind.
	        
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