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Full text: Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie, 22 (1894)

Spindler: Eisverhältnisse an den Seeküsten des russischen Reiches, 
haltende Dauer der Eisdecke ist für Libau durchaus ein Ausnahmefall. Bei 
Windau, ebenso wie in der Nähe von Backofen, fand gänzliches Zufrieren der sicht- 
baren Meeresfläche. nur auf kurze Zeit statt, bei Backofen nämlich im Januar 
auf 24 Tage und bei Windau Mitte Februar auf vier Tage. Die übrige Zeit 
blieb das Eis beweglich, obwohl auch hier die sichtbare Meeresfläche im Laufe 
von fast vier Monaten nie ganz frei von Eis wurde. Für Windau wurde die 
Schiffahrt vom 13. Januar bis zum 25. März, also beinahe auf 21% Monate, unter- 
brochen. Der Bemerkung des Windauer Lootsen-Kapitäns nach stand aber diese 
lange Unterbrechung der Schiffahrt für die Windauer Rhede im Zusammenhange 
mit der Anhäufung von Eis im: Sund und Kattegat, Offenbar basirt diese Be- 
merkung auf Mittheilungen ausländischer Schiffer, Da in der Fachlitteratur, so 
viel ich weifs, bis heute noch keine Ueberschau der Eisverhältnisse des Winters 
1892/93 für Sund und Kattegat erschienen ist, so entschied ich mich, zur Prüfung 
der oben angeführten Mittheilung die Angaben zu benutzen, welche über die durch 
Eis hervorgerufene Unterbrechung der Beleuchtung von Leuchtthürmen in den 
„Nachrichten für Seefahrer“ veröffentlicht werden. 
Aus diesen Angaben kann man schliefsen, dafs im Kattegat, Sund und 
Grofsen Belt das vollständige Zufrieren derjenigen Meeresfläche, welche von den 
Leuchtthürmen des Strandes von Schweden und Norwegen gesehen werden kann, 
zwischen dem 7. und 14. Januar vor sich ging; die Befreiung vom KEise fand 
bei den Küsten Schwedens am 14. und 15. März, bei denen aber von Dänemark 
im Kattegat schon am 10. Februar statt. Daraus wird ersichtlich, dafs die Unter- 
brechung der Schiffahrt im Kattegat durch Eis anscheinend 27 Tage, vom 
14. Januar bis zum 10. Februar, anhielt. In strengen Wintern auf der Ostsee 
drängt sich das Eis gewöhnlich durch die Meerengen in den Kattegat bis nach 
Skagen!) herauf; infolge der starken Strömung frieren die Meerengen nur in 
Ausnahmefällen vollständig zu, doch ist die Unterbrechung der Schiffahrt in ihnen 
sowohl als auch im Kattegat infolge von Eisanhäufung in strengen Wintern eine 
normale Erscheinung. Als auffallendes Resultat der strengen Fröste im Kattegat 
und Sund kaun die Verzögerung ihrer vollständigen Befreiung vom Eise auf 
beinahe einen Monat angesehen werden; das Eis verschwindet aus ihnen gewöhnlich 
schon Mitte Februar. 
Aus unserer graphischen Tabelle kann leicht die Zeit bestimmt werden, wo 
gröfsere Eismassen an verschiedenen Punkten des Ostseestrandes zuerst erscheinen, 
Aus derselben geht hervor, dafs eine regelmäßige Ausbreitung des Eises in einer 
bestimmten Richtung für mehr offen liegende Theile der See nur im östlichen 
Theile des Finnischen Meerbusens, von Kronstadt bis Hochland und Rödskär 
beobachtet werden kann; hier geht im Laufe von mehr als 1'/a Monaten die all- 
mähliche Ausbreitung des Bereiches der Eishülle von Osten nach Westen vor 
sich. An den übrigen Punkten erscheint das Eis fast gleichzeitig auf einer 
bedeutenden Fläche. In dieser Beziehung verdient der 6. Januar unsere be- 
sondere Aufmerksamkeit: der Rigaer Meerbusen und die Libauer Rhede füllten 
sich an jenem Tage unerwartet mit Eis, wobei die Eisschollen beim Austritt des 
Rigaer Meerbusens in die Ostsee schon so bedeutend waren, dafs drei englische 
Dampfboote, welche Riga verlassen hatten, 10 Werst westlich von Domesnäs so 
vom Eise eingeschlossen wurden, dafs sie sich genöthigt sahen, dort zu über- 
wintern. 
Wendet man sich zu den meteorologischen Beobachtungen, so ersieht man 
daraus, dafs gerade an diesem Tage eine bedeutende Senkung der Temperatur 
für die Küstengegenden der Ostsee stattfand, wodurch die Entstehung von Eis 
in einem weiten Umkreise nicht nur an den Küsten, sondern auch auf offener 
See erklärlich wird. Es unterliegt keinem Zweifel, dafs das Eis in der Mehr- 
zahl von Fällen sowohl in der Ostsee, als auch in den von ihr gebildeten Meer- 
busen, zuerst längs den Küsten entsteht und dann, durch Wind von ihnen los- 
gerissen, in die offene See getrieben wird, wo es unter günstigen Verhältnissen an 
Ausdehnung gewinnt. Bei strengen Frösten aber, wie diejenigen, durch welche 
der verflossene Januar sich auszeichnete, kann Eis auch fern vom Strande ent- 
stehen. Dieses beweisen u. a. die Beobachtungen aus Filsand und dem Leucht- 
thurm von Worms, nach welchen man leicht die Entstehung von Eis im Meer 
9201 
'y Siebe Ackermann: „Beiträge zur physischen Geographie der Ostsee“, S, 271.
	        
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