2992 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, Juni 1894,
nach der älteren Methode, und es ist nicht immer möglich, die gesuchte Tide
ganz zu isoliren, so dafs es nothwendig ist, durch Anbringung von kleinen
Korrektionen den Einfluls der anderen Tiden zu beseitigen. Dies Letztere ist
jedoch, wie wir sehen werden, eine sehr einfache Sache und kann jedenfalls
nicht als wesentlicher Nachtheil gegen eine Methode geltend gemacht werden,
welche eine so erhebliche Arbeitsersparnifs ermöglicht. Streng genommen ist
übrigens auch bei der älteren Methode ein solcher Einfluls der anderen Tiden
auf das Ergebnifs der Rechnung vorhanden, welcher nur dann vernachlässigt
werden darf, wenn die Beobachtungen einen längeren Zeitraum, also etwa ein
Jahr, umfassen.
Die der neuen Methode zu Grunde liegende Erwägung ist folgende. Wenn
man die Summe der an einer Reihe von n auf einander folgenden Tagen zu den-
selben Stunden mittlerer Sonnenzeit beobachteten Wasserstände bildet, so enthält
diese Summe das n-fache der Sonnentiden (der S-Gruppe) und die Summe des
Einflusses der anderen Tiden. Da diese nicht wie die S-Tiden in einer Stunde
ihr Argument um ein Vielfaches von 15° ändern, also in einem mittleren Sonnen-
tage alle Phasen ein- oder mehrmals durchlaufen, so dafs diese Tiden in der
gleichen Stunde an allen folgenden Tagen sich in derselben Phase befinden,
sondern ganz verschiedene Argumentsänderungen haben, so ist der KEinflufs,
welchen eine bestimmte Tide auf die Summe der Wasserstände von n Tagen
ausübt, verschieden je nach dem Werthe von n, und es wird für jede Tide einen
bestimmten Werth von n geben, für welchen der KEinflufs ein Maximum ist,
während derjenige der anderen Tiden mehr oder weniger abgeschwächt ist.
Wenn wir nun die Wasserstandssummen für zwei Gruppen von je n Tagen
bilden, welche so gewählt sind, dafs der Einflufßs der gesuchten Tide in der
einen Gruppe ein positives, in der anderen ein negatives Maximum hat, und nun
die Differenz dieser beiden Summen nehmen, so wird in der Differenz der Kin-
fluß der betreffenden Tide verdoppelt werden, während die S-Tiden ganz und
gar herausfallen und der Einflußs der anderen Tiden mehr oder weniger ab-
geschwächt sein wird im Vergleich zu dem der gesuchten Tide. Indem wir
eine Reihe solcher Differenzen bilden, welche das ganze Beobachtungsmaterial
umfassen und dieselben summiren, können wir den Kinflußs der gesuchten Tide
sehr erheblich verstärken, während zugleich der der anderen Tiden fast ganz
eliminirt wird. Wir erhalten so schliefslich eine Reihe von 24 Werthen, welche
den Gang der gesuchten Tide in einem mittleren Sonnentage darstellt, aus der
sich mittels der Methode der kleinsten Quadrate die Koefficienten der Tide leicht
herleiten lassen.
Es könnte nun scheinen, daß hiermit nicht viel gewonnen sei, da die
wiederholte Bildung der Wasserstandssumme von n Tagen ebenso viel Arbeit
verursachen müfste als die Summirung der Beobachtungen nach den Leitlinien
oder mit Darwin’s Apparat; man kürzt aber diese Arbeit ganz aufserordentlich
ab, wenn man ein für alle Mal die Summen der Wasserstände vom ersten bis
zu jedem folgenden Tage bildet und diese in das mehrerwähnte Schema einträgt.
Dann ist nämlich die Summe der Wasserstände für irgend ein beliebiges Zeit-
intervall einfach die Differenz zweier Zeilen des Summenverzeichnisses. Wir
brauchen demnach zur Ableitung einer Tide diesem Verzeichnisse nur eine gewisse
mäfsige (zwischen 2 und 66 schwankende) Anzahl Zeilen zu entnehmen, ihre
Summe zu bilden und von derselben die Summe einer gleichen Anzahl anderer
Zeilen zu subtrahiren, um die gesuchte Reihe von 24 Werthen zu erhalten, aus
welcher die Koefficienten der Tide abgeleitet werden können. Während man
also sonst für jede Tide, ein volles Beobachtungsjahr vorausgesetzt, zwischen
350 und 370 Zeilen zu summiren hat, beschränkt sich dies bei dem neuen Ver-
fahren für jede Tide auf höchstens 132 Zeilen, meistens aber auf viel weniger.
Die Bildung der successiven Wasserstandssummen und ihre Eintragung in das
Schema tritt hier an die Stelle des Ausschreibens der Beobachtungen aus dem
Journal und die Summirung derselben zur Ableitung der S-Tiden und macht
nur wenig mehr Arbeit als dieses.
Wir wollen jetzt die Formeln entwickeln, welche für die Anwendung
dieser Methode nothwendig sind, und dann für alle Tiden, deren Ableitung
wünschenswerth erscheint, die zu benutzenden Zeilen des Summenverzeichnisses,
sowie alle anderen erforderlichen Gröfsen angeben. Die Formeln sehen etwas