Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, April 1894.
Zur Lehre von der Wellenberuhigung.
Von Dr. G, MEYER, aufserordentlichem Professor in Freiburg i. B.
In dem kürzlich erschienenen Buche des Herrn Dr. M. M. Richter: „Die
Lehre von der Wellenberuhigung‘“, finden sich in den ersten Kapiteln Be-
trachtungen angestellt über die Ausbreitung einer Flüssigkeit auf einer anderen,
Die dort beschriebenen, von dem Verfasser angestellten Experimente sind nun
nicht ganz einwandfrei, so dafs die aus ihnen gezogenen Schlüsse nicht aufrecht
erhalten werden können.
Haben wir zwei Flüssigkeiten 1 und 2, denen gegen Luft die Oberflächen-
spannung a, und a, zukommen und deren gegenseitige Oberflächenspannung mit a, ,
bezeichnet werde, so breitet sich die Flüssigkeit 2 auf 1 aus, wenn a, > ag +3;
Diese Beziehung hat sich bis jetzt in allen untersuchten Fällen als zutreffend
erwiesen, nur hat es in einigen Fällen, z. B. beim Quecksilber, Schwierigkeiten
yemacht, die Oberflächen in der erforderlichen Reinheit darzustellen, so dafs sich
Wasser auf Quecksilber ausbreitet. Herr Dr. Richter führt nun zwei Fälle an,
in denen die obige Ungleichung erfüllt ist und dennoch eine Ausbreitung nicht
stattfindet; er schliefst daraus, „daß bei der Ausbreitung von Flüssigkeiten andere
Faktoren mindestens eine gleichwerthige, wenn nicht eine bedeutendere Rolle
spielen“. Die Ausnahmen sind: Petroleum und Benzol breiten sich beide nicht
auf Wasser aus, obgleich im ersten Falle a, die Summe der beiden anderen Ober-
Aächenspannungen um 1,186 nn im zweiten um 3,161 IE übertrifft. Bei der
Anstellung der Versuche scheint nicht auf genügende Reinheit der Wasserober-
Aäche geachtet zu sein. Eine reine Oberfläche erhält man nach Röntgen‘) am
leichtesten, wenn man Wasser aus der Leitung von unten in einen Trichter ein-
treten und über den Rand desselben abfliefsen läfst. Bringt man nach Unter-
brechung des Zuflusses vermittelst eines ausgeglühten Platindrahtes einen Tropfen
Petroleum oder Benzol auf die Wasseroberfläche, so sieht man die Ausbreitung
vor sich gehen, und zwar beim Benzol bedeutend schneller als beim Petroleum.
Die Erscheinung läßt sich am bequemsten beobachten, wenn man die Wasser-
oberfläche mit Lycopodium bestäubt, welches von der sich ausbreitenden Flüssigkeit
fortgeschoben wird. Die Ausbreitung von Petroleum und Benzol ist sofort
gehindert, sobald die Wasseroberfläche durch Eintauchen der Finger verunreinigt
ist. Petroleum und Benzol bleiben in diesem Falle als Tropfen auf der Ober-
Aäche liegen. Auch in einer mit Schwefelsäure gereinigten Krystallisationsschale
lJäfst sich die Ausbreitung beobachten, wenn man das Wasser aus der Leitung in
einem Strahle eintreten und über den Rand abfliefsen läfßst. Eintauchen der
Finger verhindert das Gelingen des Versuches jedesmal. Zwei weitere Versuche,
welche ich nicht wiederholt habe, über die Ausbreitung von Mandelöl auf Wasser
und Kochsalzlösung und von Olivenöl auf Schwefelkohlenstoff sind ebenfalls an
angereinigten Oberflächen angestellt und deshalb ebenso wenig als die zuerst
genannten geeignet, den von Herrn Dr. Richter behaupteten Widerspruch
zwischen Theorie und Praxis zu beweisen. Bis jetzt ist es daher nicht erforder-
lich, zur Erklärung der Ausbreitung einer Flüssigkeit auf einer anderen die
Diffusion herbeizuziehen und die wellenberuhigende Wirkung des Oeles einer
„Diffusionskraft“ zuzuschreiben. ;
Durch die Versuche von Lord Rayleigh und Agnes Pockels ist bekannt
geworden, dafs schon ganz minimale Mengen von Fetten und Oelen die Ober-
Hächenspannung des Wassers stark herabsetzen. Es scheint daher nicht unmöglich,
dafs das häufige Ausbleiben der wellenberuhigenden Wirkung beim Ausgiefsen
von Petroleum auf das Meer auf eine geringe Verunreinigung der Oberfläche
zurückzuführen ist und es wäre von Interesse, zu untersuchen, ob auf einer nach
der Röntgen’schen Methode gereinigten Oberfläche von Meerwasser die Aus-
breitung von Petroleum erfolgt.
Freiburg i,. B., 7. April 1894.
Röntgen: Wied. Ann. 46, S. 152, 1892.