Romer: Ueber Grund: und Siggeis.
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Alle Beobachter sind darüber einig, dafs das ganze Wasser während der
Eisbildung eine Temperatur dicht bei dem Nullpunkte besitzt. Ingenieur
Grotowski will in einem fliefsenden Bache in der Krim — 4° (!) gemessen haben;
dasselbe bestätigt Ingenieur Lindley nach seiner in Rumänien gemachten Beob-
achtung. (Nach Angaben in der oben citirten Arbeit von Stiowikowski,
Seite 209.) Solches Wasser, in eine Flasche hineingegossen, verwandelte sich
sofort in Eis, Erinnert dies nicht an die gut bekannten physikalischen Experi-
mente? Das Interessante in dieser Beobachtung besteht aber darin, dafs nicht
1/g des Wassers, wie in gewöhnlichen Verhältnissen, sondern die ganze Masse in
der Flasche zu Eis wurde. Aehnliche Erfahrung machte auch Ingenieur
Stowikowski. Dies kann doch nur durch „Ueberkälten“ der ganzen Wasser-
masse gedeutet werden. Nicht minder interessant sind die Messungen des Wasser-
bau-Inspektors Bubendey in Hamburg („Ann. d. Hydr. etc.“ 1894, I). Diesen
zufolge soll das Wasser während einer Frostperiode nicht an der Oberflächen-
schicht, sondern an-der Sohle am kältesten sein. ,
Was die Bedingungen zur Grundeisbildung anbetrifft, so sind beinahe alle
Beobachter darüber einig („Ann. d. Hydr. etc.“ 1891, IV, 1892, IX; „Wetter“
1888; XI), dafs dazu Frost, klarer Himmel und das Fehlen einer Eisdecke nöthig
sind. Einen interessanten Beitrag hat dazu Herr Stowikowski gegeben. „Das
Verstopfen der Saugröhre“, sagt er, „ist eine periodische, immer nach Sonnen-
untergang sich wiederholende Erscheinung; bei demselben Wetter, bei noch
stärkerem Froste und bei noch mehr klarem Himmel ist die Eismantel-
bildung tagsüber nie so bedeutend als während der Nacht“. ,
| Wenn wir alle die Umstände erwägen, müssen wir uns auf die Seite der-
jenigen stellen, die der Strahlung eine grofse Rolle bei der Grundeisbildung zu-
schreiben wollen. Diese Erklärung liegt jedenfalls am nächsten, da wir nach
den allseits gemachten Beobachtungen wissen, dafs die Grundeisbildung am besten
unter Umständen gedeiht, die entweder die Strahlung hervorrufen und begünstigen
oder als Folgen der Strahlung anzusehen sind. Herr Kapt. Meyer und noch
vorher Krieg wollen doch das Grundeis mit Reif oder mit Glatteis vergleichen!
Neben der Strahlung als des schaffenden Momentes bei der Eisbildung mufs
auch der Wasserbewegung, des hemmenden Momentes, gedacht werden. . Das
Strömen hemmt die Kristallisation des, wenn auch überkühlten Wassers, wie dies
schon von Grotowski, Lindley und Schmied („Wetter“ 1588, Seite 284)
festgestellt wurde, und wie dies viele Andere‘ direkt annehmen. An der Fluß-
sohle ist die Wasserbewegung verzögert, hier mufßs also die Eisbildung den
Anfang nehmen. ' ;
An dieser Stelle wollen wir noch eine interessante Beobachtung von Ingenieur
Stowikowski erwähnen, .
Am 20. Dezember 1891 hatte man mit den Schwierigkeiten zu kämpfen,
die die hereinfliefsenden Eiskristalle bereiteten. Das Einstellen der Bewegung
erschien noch nicht Kothwendig, und nur versuchsweise hat man zu dieser Mafs-
regel gegriffen. Als man nach Verlauf von einer Viertelstunde die Maschinen
wieder in Bewegung setzen wollte, erwies sich dies als unmöglich; die zahlreichen
Deffnungen in der Saugröhre waren schon vollständig mit einer Eiskruste über-
deckt, und auch das Innere der Röhre und der Pumpe war ganz mit Eis verstopft.
In dieser. Nothlage war man gezwungen, die Vorrathsmaschine zu benutzen. Das
Saugen ging wiederum ganz regelmäfsig vor sich, bis man den Gang auch dieser
Maschine unterbrach. Als Folge zeigte sich wiederum eine kräftige Eisbildung,
die, wie beim ersten Versuche, auch jetzt die Sauglöcher ganz verstopfte.
Wir sehen also, daß die Theorie der Strahlung mit Berücksichtigung der
ungleichmäfsigen Bewegung des Wassers viele Begleiterscheinungen der HKis-
bildung zu erklären vermag, und wenn auch diese nicht Jeden befriedigen kann,
so liegt dies an der Neuheit des Problems und an den vielen Lücken, die noch
einer Fülle exakter Beobachtungen harren. !) E. Romer.
1) Ueber‘ die Rolle, welche ‘das Grund-‘ und Siggeis bei der Bildung der Eisdecke und den
Eisversetzungen‘ in unseren Strömen spielt, finden sich interessante Angaben vom Stzommeister
Scheibel in Alte-Fähre a, d. Oder im neuesten Heft der Zeitschrift „Das Wetter“, 1894, S. 68.
D. Red.