Der grofse Sturm vom 7. bis 12. Februar 1894 an der deutschen Küste. 93
währendes Arbeiten der mit ihren Ankerketten und Tauwerk unklar gekommenen
Schiffe schwere Havarien.
Das deutsche stählerne Segelschiff „Selene“ hatte am 4. Februar Newcastle
on Tyne mit einer Ladung Kohlen für Iquique verlassen. Es kreuzte gegen
südwestliche, zeitweilig stürmische Winde dem Kanal zu. Am 12. wurde der
Wind bald nach 4 Uhr morgens orkanartig und das Schiff von einer Sturzsee
so schwer getroffen, dafs die Ladung überging und das Schiff sich auch nach
Kappen des Besanmastes und der grofsen Stänge nicht mehr aufrichten wollte,
Da die schweren Sturzseen über das Deck hinwegschlugen und ein Kentern des
Schiffes bevorzustehen schien, so rettete sich die Bemannung auf englische Fischer-
fahrzeuge, welche sie in England landeten. Die verlassene „Selene“ wurde
indessen am 14. Februar von den Fischdampfern „Hamburg“ und „Dania“ bei
Terschelling in Schlepptau genommen und nach Cuxhaven bugsirt, wo sie am
16. eintraf, Ihre Steuerbord - Verschanzung ragte dabei nur ca. 0,3 m über
Wasser,
In Deutschland erreichte der Sturm seine größte Stärke am 12, Februar
ziemlich allgemein in den Mittagsstunden. In Rinteln an der Weser fand zwar
der schwerste Schaden, der Kinsturz eines Fabrikschornsteins, schon in der
Nacht statt, aber die meisten Verwüstungen fielen in Hamburg auf 11* a bis 13* p,
in Berlin auf 12% a bis 3!/2* p, in Stettin auf 1* p, in Posen auf „Nachmittag“ des 12.
Von dem Auftreten des Sturmes an der Elbmündung giebt der folgende
Bericht aus Cuxhaven ein anschauliches Bild.
„Cuxhaven, den 12. Februar 1894. Die wenigsten Cuxhavener werden in
der Nacht vom Sonntag auf den Montag ihren Schlaf gefunden haben: das ent-
setzliche Pfeifen und Brausen des am Sonntag Mittag plötzlich nach kurzer
Unterbrechung wieder entfesselten Sturmes ließs sie nicht dazu kommen. Je
näher der Tag rückte, um so stärker wurde es, und als der Montag anbrach,
wuchs der Sturm zum Orkan. Die Häuser zitterten und bebten in ihren Grund-
festen; grofse Löcher rifs der Sturm in die Ziegelbedachungen, ununterbrochen
hagelten die Schiefer- und Ziegelplatten in die Strafsen nieder, deren einige
infolge dessen für den Verkehr gesperrt werden mufsten. Es ist kein Haus im
ganzen Ort, das ohne Beschädigung davongekommen wäre. Alte befahrene See-
leute. meinten, nie einen solchen Sturm in Cuxhaven erlebt zu haben. Immer
anheimlicher wurde das zischende Pfeifen, untermischt von donnerartig knatternden
Windstößen, je mehr man sich dem Mittag näherte; der Hauptentwässerungs-
kanal zwischen dem von Ritzebüttel bis ganz zum Strand reichenden Hauptdeich,
hinter dem Cuxhaven liegt, und dem Ostseitedeich, der ebenso lang ist, war ver-
schwunden und die breite Fläche zwischen diesen Deichen in einen in hohen
Wogen gehenden See verwandelt, dessen Wasser bis fast an die Krone der Deiche
hinanreichte. Dieser See. reichte von Dölles Hotel bis an die Häfen. Die
Durchfahrten durch den Hauptdeich bei Ritzebüttel und. am Hafen waren durch
Schotten gedichtet, ein Fall, der seit vierzehn Jahren nicht mehr vorgekommen
ist. Am Strand, zu dem man sich von Ritzebüttel durch den Sturm kaum hinab-
arbeiten konnie, sah es wüst aus, Das Aufsenland des Seedeichs war unter
brüllenden Wassermassen, die immer höher an den Deich hinanstiegen, ver-
schwunden. Wer sich den Weg vom Hotel Continental nach dem Seepavillon,
über den die Wogen hinschlugen, hinabwagte, war nach wenigen Schritten von
den Gischtmassen völlig durehnäfst. Die See bot einen gro(sartigen Anblick, In
fast regelmäßigen Zwischenräumen wurde es dunkel und hell auf den Wassern,
eine Böe nach der anderen stieg in schwarzblauen Wolkenwänden wie aus dem
Schoofse der Nordsee eınpor und raste sich in wüthenden Stöfsen, unter wahrem
Höllengetöse aus, Die bebenden, das furchtbare Schauspiel bewundernden Zu-
schauer murmelten immer wieder: „So einen Sturm haben wir noch nicht erlebt!“
Natürlich stand auch die „Alte Liebe“ unter Wasser, ebenso waren die Hafen-
köpfe des Hafenneubaues unter den brüllenden. Wogen verschwunden. Nur das
obere Stockwerk der „Alten Liebe“ ragte noch aus dem Wasser hervor und bot
denen, die es trotz Sturm und Wogendrang erreichen konnten, eine wunderbare
Schau. Von hier aus konnte man, wenn es heller war, die Wracks der an der
Nord gesunkenen Schiffe sehen, einer Bark und des dänischen Dreimastschoners
„Ellida“. Mit; bloßsem Auge sah man.in der Ferne ganz schemenhaft nur einige
Masten; mit ‚einem guten Fernglase entdeckte man auf dem Kreuzmast. acht.