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Full text: Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie, 21 (1893)

Die schweren Stürme in Westeuropa zwischen dem 16. und 20, November 1893. 5038 
Monats war unruhig, jedoch ohne so bemerkenswerthe Erscheinungen, wie die 
hier besprochenen. 
In einem Aufsatz in „Ciel et Terre“ fafst A. Lancaster einige hervor- 
stechende Eigenthümlichkeiten dieses Sturmes so zusammen: Zunächst ist schon 
das Auftreten eines Nordoststurms über einem ausgedehnten Gebiet Westeuropas 
eine sehr seltene Erscheinung; ferner ist bei uns die Luft während des Barometer- 
falls ruhig geblieben und erst während seines Steigens stürmisch geworden; end- 
lich waren die Wirkungen fast ganz auf die Küsten und die offene See beschränkt, 
nur wenige Schäden werden vom Festlande gemeldet. In Brüssel hat der Druck 
des Windes diesmal 70 kg per Quadratmeter nicht überschritten; am 12. März 1876 
hat man dort mehr als das Doppelte hiervon gemessen, nämlich 144 kg. 
Ueber die Verheerungen, die der Sturm angerichtet hat, sprach sich der 
Präsident des britischen Handelsamtes am 23. November im Parlament folgender- 
mafen aus: Ich bedaure bestätigen zu müssen, daß der Verlust an Menschen- 
leben während des Sturmes vom 16, bis 20. November nahezu ohne Beispiel in 
unserer Geschichte ist. Die bisher eingegangenen Berichte verzeichnen einen 
Verlust von 237 Menschenleben, indessen laufen noch stets neue Botschaften ein. 
Mittels Raketenapparaten der Küstenwachen und Hülfe vom Lande sind 198 Menschen 
gerettet, durch Fischer- und Privatboote 102, durch Schiffsboote 68, durch Boote 
der Rettungsanstalten 105, durch andere Mittel 35, im Ganzen 508 Menschen. 
Der wirkliche Menschenverlust in diesem Sturm war vermuthlich weit größer. 
Die englischen Blätter enthalten spaltenlange Berichte über die Ver- 
heerungen des Sturmes. Die Rettungshoote waren zwar überall sofort am Platze, 
wo es galt, den gestrandeten Schiffen Hülfe zu bringen, vielfach traf die Rettung 
aber zu spät ein und die Fahrzeuge waren bei Ankunft der Hülfe schon in Stücke 
geschlagen. Zum Theil erhielten die Rettungsmannschaften zu spät Meldung von 
Schiffbrüchen, weil die Telegraphenleitungen zerstört waren; in vielen Fällen lief 
die See auch so hoch, dafs es den Booten, ungeachtet der schwersten Anstren- 
gungen der heldenmüthigen Besatzung, nicht möglich war, durch die Brandung 
nach See hinaus zu kommen, Die Liste der Unfälle ist eine fürchterlich große; 
wir müssen uns mit wenigen kurzen Angaben begnügen. 
Wie aus Dover gemeldet wird, wurde die Wirkung des Sturmes am 
schlimmsten in Margate gefühlt, wo derselbe mit solcher Gewalt wehte, dafs das 
Rettungsboot nicht hinaus konnte und das Boot von Ramsgate einem noth- 
leidenden Schiffe zu Hülfe geschickt werden mufste. Bald nachher sah und hörte 
man wieder Nothsignale vom Gull-Leuchtschiffe auf dem Goodwin Sand, die an- 
scheinend ein großes Segelschiff betrafen. Die Küstenwache von Ramsgate 
mufste daher nach Broadstairs telephoniren, damit das dortige Rettungsboot 
hinausginge. Die Mannschaften berichten, dafs die See auf dem Goodwin berge- 
hoch lief, von einem Schiffe jedoch nichts mehr zu entdecken gewesen sei. Das 
Rettungsboot trieb schliefslich vor dem Orkan nach der Rhede von Dover, wo- 
hin auch das Rettungsboot von Walmer verschlagen wurde, das zwei Mann von 
einem Fischerfahrzeug gerettet hatte. Eine Anzahl Fischerboote aus Ramsgate, 
welche auf See von dem Sturm überfallen wurden, mußte die Netze im Stiche 
lassen und dem Lande zu flüchten; den meisten gelang es, den Hafen von Dover, 
wo die Wellen bis über die Promenade schlugen, zu erreichen, die übrigen 
trieben weiter kanalabwärts. Die zwischen Dover und dem Festlande fahrenden 
Postdampfer haben nur mit grofsen Verspätungen ihre Fahrten innehalten können: 
sie haben fürchterliche Reisen gehabt und berichten, dafs allein zwischen Calais 
und Boulogne 12 französische Fischerfahrzeuge, von denen einige eine Besatzung 
von 20 Köpfen haben, gestrandet sind. Ein grofser Theil der Mannschaften ist 
üumgekommen. In Calais hat man seit 16 Jahren keinen Sturm von solcher 
Stärke erlebt; derselbe rifs 200 m von der Ostmole mit dem Gezeitenfeuer fort. 
._ In Portsmouth hörte der ganze Strafsenverkehr infolge des Sturmes auf, 
Die Kriegsschiffe „Howe“ und „Barraconta“, welche nach dem Mittelmeer bezw. 
nach Südamerika abgehen sollten, waren am Auslaufen verhindert und mufsten 
in Spithead besseres Wetter abwarten. Der Sturm war von schweren Schnee- 
böen begleitet, in denen mehrere Personen umgekommen sind. 
.. Besonders aufregende Scenen spielten sich am Sonnabend an der Bai von 
St. Ives, Cornwall, ab, wo ‚vier Dampfer, welche dort Schutz suchend ein- 
velaufen waren, ins Treiben geriethen und strandeten. Es waren .dies die
	        
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