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Full text: Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie, 21 (1893)

Treibeis in südlichen Breiten. 
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größere Lücke, von dorther aber wehte der Wind. Das Schiff wurde deshalb 
gewendet; wir segelten durch das Eis denselben Weg zurück und steuerten dann 
bei dem Winde westlich. Beim Einbruch der Duukelheit sahen wir eine Bark, 
die wohl noch eben rechtzeitig einen Eisberg in Sicht bekommen hatte und durclı 
unseren ungewöhnlichen Kurs aufmerksam gemacht, ebenfalls wendete und sich 
in unserer Nähe hielt. Um Mitternacht, nachdem der Wind westlicher gegangen 
war, nahmen wir den nördlichen Kurs wieder auf. Bald sahen wir wieder Eis 
in der Nähe, jedoch nur vereinzelt. Bis zum Mittage passirten wir etwa 20 Berge, 
alle östlich von uns. Dann wurde das Eis jedoch häufiger. Beim Passiren in 
Lee der grofsen Eismassen hatten wir sehr starke Fallwinde, sonst aber klares, 
neiteres Wetter den ganzen Tag. Gegen Abend gestaltete sich unsere Lage 
zritischer; das Barometer fiel schnell, und der Wind, der nördlicher gegangen 
war, nahm fortwährend an Stärke zu. Gleichzeitig wurde das Eis immer dichter; 
es schien, als ob vor uns ein Berg sich an den anderen reihte. An ein weiteres 
Voräringen war nicht zu denken, bei der jetzt hereinbrechenden Dunkelheit war 
der Rückweg ebenfalls abgeschnitten, und da wir uns gerade auf einer etwas 
größeren freien Stelle befanden, wurde beschlossen, alle Segel bis auf die Unter- 
marssegel festzumachen und das Schiff auf gut Glück treiben zu lassen. Das 
am vorhergehenden Abend angetroffene Schiff hatte sich den ganzen Tag über 
in Sichtweite von uns gehalten, und um ihm dies auch während der Nacht zu ermög- 
lichen, zeigten wir auf der „Ennerdale“ ein weißfses Licht von der Gaffel. In 
unserer gegenwärtigen gefahrvollen Lage war die Nähe eines Leidensgenossen 
immerhin ein etwas beruhigendes Gefühl, denn falls dem einen Schiff ein Unglück 
zustofsen sollte, war ja noch die, wenn auch schwache Möglichkeit vorhanden, 
dals vom anderen Schiffe Rettung kommen konnte. Unser gröfster Trost aber 
war, dafs um 10 Uhr der Mond aufgehen mufste. Bis dahin schlich die Zeit nur 
langsam vorwärts; von den drohenden Eisriesen um uns herum war bei der un- 
durchdringlichen Finsternifs nichts zu sehen, der Sturm heulte und pfiff seine 
schaurigen Melodien inı Takelwerk — es waren unheimliche Stunden. Gottlob! 
um 11 Uhr ‚brach der Mond siegreich durch die Wolken. Nun konnte man 
doch wieder die Gefahren sehen und durch rechtzeitiges Manövriren das Schiff 
vor Kollision bewahren. Bei Tagesanbruch am 11. März wurde dann nach 
einem Ausweg durch die im Norden liegende Eiswand gesucht. Es fand sich 
eine etwa 90 m breite Lücke; hier galt es nun hindurch zu segeln. Je mehr wir 
uns aber der Stelle näherten, desto gefahrvoller erschien das Unternehmen. Die 
Durchfahrt war mit Treibeis bedeckt und aufserdem der Wind schral nördlich 
and ‚sehr böig. Dennoch kamen wir unbeschädigt hindurch, und ebenso glück- 
lich war unsere Gefährtin, die Bark,. die direkt hinter uns her segelte‘ und die 
norwegische Flagge zeigte. Als wir die Eiswand, die sich Ost—West erstreckte 
und deren Enden nicht abzusehen waren, glücklich hinter uns hatten — es war 
am 6 Uhr morgens, und wir befanden uns auf 49'%° S-Br und 47'%2° W-Lg — 
wurde das Eis bedeutend seltener. Mittags sahen wir nur noch drei Berge. 
Abends 6. Uhr wurde der letzte Eisberg passirt. ; 
. Was die Beschaffenheit der Eisberge anbetrifft, so waren sie von den ver- 
schiedensten Gröfsen bis zu 100 m Höhe und zeigten oft die wunderbarsten Ge- 
staltungen. Viele der gröfseren waren oben ganz flach, hatten die Form eines 
Rechtecks mit senkrechten Seiten und scharfen Kanten und sahen in der Ferne 
aus wie grofse Kasten. Sie waren mit 5 bis 6 m hohem Schnee bedeckt und 
zeigten in der Wasserlinie und unterhalb derselben grofse Löcher, wodurch 
manche schon stark auf die Seite geneigt waren.. Andere KEismassen waren dach- 
förmig oder platt mit einer oder mehreren Spitzen. Ein grofser Eiskolofs hatte 
angefähr die Form eines Hauses, das vorn mit einer hohen Giebelwand ver- 
sehen, ein anderer machte den Eindruck einer Festung mit Zinnen und Thürmen. 
Eine ganz in der Nähe passirte Eismasse von der Gröfse unseres Schiffes bot 
einen merkwürdigen Anblick dar. Sie hatte die Form einer Mulde, war ganz 
mit Wasser angefüllt und schaukelte beständig hin und her, wobei sie zuweilen 
einen Theil ihres Inhalts hoch in die Luft emporschleuderte, um gleich darauf 
an der anderen Seite wieder voll zu schöpfen. Alle kleineren Eismassen von 
Schiffsgröfße und weniger waren ohne Schnee und hatten meistens abgerundete 
oder spitze Formen. Das Wasser spritzte und spülte an ihnen herauf wie an 
Klippen, während sie sich in fortwährend schaukelnder Bewegung befanden und 
Ann. d. Hydr. etc., 1893. Heft VILL
	        
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