Ann. d. Hydr. ete., XXI. Jahrg. (1893), Heft V.
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Rasche Reisen deutscher Segler.
Von L. E. DINKLAGE, Abtheilungs-Vorsteher an der Seewarte.
Die in letzter Zeit bei der Seewarte eingegangenen meteorologischen
Journale enthalten eine stattliche Reihe von Beispielen ungewöhnlich rascher
Reisen, die von Segelschiffen der deutschen Handelsmarine unter Führung von
Mitarbeitern der Seewarte gemacht worden sind. Es unterliegt nun ja keinem
Zweifel, dafs die Ausführung solcher schnellen Fahrten zum guten Theil an das
Antreffen günstiger Umstände von Wind und Wetter gebunden ist; aber wir
sind auch der Meinung, dafs es keineswegs der reine Zufall und das bloße Glück
ist, welche ein Segelschiff rasch über See bringen. Es gehört dazu, neben der
yuten Segelfähigkeit des Fahrzeugs, auch eine verständige, energische und zu-
gleich vorsichtige und beherzte Schiffsführung, welche immer den besten Weg
zu finden und alle angetroffenen Umstände richtig zu behandeln weils und ohne
unkluge Gefährdung des Takelwerks jeden halbwegs günstigen Wind zum Vollen
ausnutzt. Die raschen Seglerreisen sind hervorragende Leistungen der Schiffe
wie ihrer Führer, und als solche sie betrachtend, halten wir für angezeigt, über
dieselben an dieser Stelle zu berichten. Da nur die Reisen jüngster Zeit be-
sprochen werden sollen, beschränken wir unsere Berichte auf die Journale, welche
seit Anfang vorigen Jahres bei der Seewarte eingegangen sind,
In der atlantischen Fahrt, um mit dieser zu beginnen, sind es zum Theil
ältere hölzerne Schiffe, welche die raschen Reisen machten. Unter diesen ist
zunächst die Hamburger Bark „Marie“, Kapt. H. Boltzen, aufzuführen, welche
am 29. Juli 1891 Lizard passirte und nach 30tägiger Reise vom Kanal La
Guayra erreichte. Das Schiff segelte mit ununterbrochen günstigem, wenn auch
nur leichtem Nordostwinde erst nach SSW, bis es 30° N-Br in ungefähr 21° W-Lg
überschritten hatte, und dann mit auffrischendem Passat nach SW und WSW,
passirte am 25. August südlich von der Insel St. Lucia und kam am 28. August
auf der Rhede von La Guayra zu Anker. Bemerkenswerth ist an dieser Reise
der stetige Fortgang; im Uebrigen kam die Bark nur in einzelnen Fällen über
83/4, Knoten hinaus, während sie, wie das Journal der Heimreise zeigt, unter
günstigen Umständen wohl 11 Knoten zu leisten im Stande ist. Ihre vorher-
gehende Fahrt vom Kanal nach La Guayra — im Dezember 1889 und Januar 1890 —
führte „Marie“ in 32 Tagen aus. ;
Die einzige kürzere Reise auf derselben Strecke, welche in den Journalen
der Seewarte vorkommt, ist die der Bark „Louise & Georgine“ im Februar und
März 1879, die nur 29 Tage in Anspruch nahm. ;
Eine noch bessere Reise nach Westindien machte die von Kapt. 0. Bosse
geführte Bremer eiserne Bark „Doctor Siegert“, 958 R. T., die am 2. März 1892
abends auf der Höhe von Lizard den Kanal verließ. Bei erst südöstlichem,
später nach NW springendem Winde nahm das Schiff ebenfalls zunächst einen
sehr südlichen Kurs, auf dem 30° N-Br in 23° W-Lg geschnitten wurde. Da die
angetroffenen Südostwinde, wie der niedrige und abnehmende Luftdruck zeigte,
der Nordostseite einer barometrischen Depression angehörten, so wäre es wohl
rathsamer gewesen, mit denselben westlicher zu steuern; denn auf dem Kurse,
den die Bark verfolgte, lief sie Gefahr, in konträre Südwestwinde zu gerathen;
außerdem würde dadurch der Weg noch abgekürzt worden sein, Glücklicher-
weise war die Depression in ziemlich raschem Fortschreiten nach Osten begriffen,
und das Schiff erhielt infolge dessen den Wind beim Umspringen aus NW.
Schon in 35° N-Br drehte er sich bei steigendem Barometer durch Nord nach
NE und führte nun als frischer, beständiger Passat die Bark in ununterbrochener
Fahrt rasch ibrem Ziele entgegen. Am 24. März kam die Insel Tobago in Sicht,
und am 25. März wurde nach nur 23tägiger, fast stets von schönem Wetter be-
gleiteter Reise die Rhede von Port of Spain, Trinidad, erreicht. Es ist dies die
kürzeste Reise nach Trinidad und benachbarten Orten, über welche in den