162
Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, April 1893.
Dafs auch jetzt, nachdem der Reiz der Neuheit an der Verfolgung der
barometrischen Maxima und Minima auf den Karten verschwunden ist, doch die
Vertheilung des Luftdrucks in der Sprache der modernen Meteorologie die vor-
nehmste Rolle spielt, dafür möchte Referent dasjenige als Begründung anführen,
was er in der Vierteljahrs-Wetter-Rundschau vom Herbst 18834 (diese Annalen,
1888, S. 355) gesagt hat:
„Dafs bei der unabweisbaren Nothwendigkeit einer engen Beschränkung
des zu Gebenden die Wahl, wie man sieht, ausschliefslich auf Momente gefallen
ist, welche der Vertheilung des Luftdrucks entnommen sind, hat seinen Grund
darin, dafs wir in dieser Vertheilung den einfachsten, klarsten und allgemeinsten
Ausdruck für die gesammte Wetterlage und insbesondere für die Bewegungen
der Atmosphäre besitzen, einen nicht nur weit übersichtlicheren, sondern auch
weit allgemeineren, als in den Angaben über die Winde an der Erdoberfläche.
Denn die Letzteren geben uns nur die Bewegung in der untersten Luftschicht,
häufig noch dazu lokal gestört; die Vertheilung des Luftdrucks im Meeresniveau
aber gestattet im Zusammenhalt mit jener der Temperatur dem Kundigen, die
Richtung und Stärke der Luftströmungen durch die ganze Atmosphäre mit mehr
oder minder grofser Genauigkeit festzustellen.‘
Vorläufig haben wir noch keine andre Ausdrucksweise, welche es an Kürze
und Prägnanz mit der auf die Druckvertheilung basirten auch nur entfernt auf-
nehmen könnte. Mit der Zeit werden wir vielleicht wieder von „Strömen“ reden
können, wenn uns deren Definition und Abgrenzung besser als bisher gelungen
zein wird. Bis dahin bitten wir auch die Fernerstehenden, sich bei jeder „Depression“,
„Cyklone“, „Antieyklone“ zu denken: „und Alles, was damit zusammenhängt.“
Was darin sogenannte „Ursache“, was „Wirkung“ ist, ist dabei vorläufig
gleichgültig.
Der Verfasser hält den „modernen Meteorologen‘“ vor, es sei schwer, anzu-
nehmen, daß alle die ehrwürdigen, verdienten Männer, die vor ihnen mit demselben
Gegenstande sich beschäftigt haben, im Aberglauben befangen gewesen seien;
wahrscheinlicher sei es, dafs sie Theilstücke der Wahrheit, diese aber recht
zesehen haben. Wir unterschreiben das aus vollem Herzen und wünschen, dafs
man auch von uns dereinst dasselbe sagen möge. Es kann aber unmöglich aus-
bleiben, dafs hier und da beim Bau der Wissenschaft ein Stein falsch gesetzt
wird; dann ist es oft nicht mehr möglich, ihn zurechtzuschieben, sondern statt
'hn zu verputzen und zu flicken, ist es besser, ihn und die darauf ruhenden
abzutragen und so gut als möglich neu zu setzen. Mancher anscheinend kapitale
Stein erweist sich auch nachträglich als brüchig, und mancher einst verworfene
Stein, wie Brandes’ Lehren und Vettin’s Experimente, erweist sich als gut zu
einem Eckstein — das wird so hleiben, so lange die Bauarbeiter eben
Menschen sind.
Doch wir dürfen diese Besprechung nicht über Gebühr ausdehnen. Wir
bemerken nur noch, dafs der erste Vortrag „die Braunschweiger etc. Hagelstürme
am 1. Juli 1891“, der zweite „das Dampfschiff »Jndiana« im Orkan am 29. August
1891“ und der dritte „die sogen. »moderne, geläuterte« Meteorologie“ behandelt.
Die Aeufßserungen des Verfassers über den eingangs erwähnten Orkan der
„Indiana“ bieten ein Beispiel der leider auf diesem Gebiete aufserhalb des Kreises
der Seeleute und Fachmeteorologen so häufig anzutreffenden Uebereilung des
Urtheils. Herr Blasius fulßt auf einer einzigen dürftigen Zeitungsnotiz;
dennoch ist er bereit, den Kapitän und die „moderne Meteorologie‘ anzu-
klagen, dafs sie die schwere Gefahr verschuldet hätten, in die das Schiff
yerieth, da diese bei Befolgung seiner, des Verfassers, richtigen Anschauungen
leicht hätte vermieden werden können. Wie wenig begründet diese ver-
messene Behauptung ist, zeigt die Washingtoner Pilot Chart für Oktober
1891 und Juli 1892, wo dieser Sturm nach viel größerem Beobachtungsmaterial
als ein regelrechter Wirbelsturm vom "Typus der westindischen Orkane sich
erweist, mit kleinem Durchmesser, aber grofser Intensität, und die roh parabel-
förmige Bahn von dessen Centrum von gegenüber Portorico bis jenseits Neufund-
land verfolgt werden konnte. Allein wenn der Charakter des Sturmes auch ein
anderer gewesen wäre — die Schroffheit des Urtheils steht mit der Schwäche
zeiner Begründung jedenfalls in schreiendem Widerspruch!