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Full text: Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie, 21 (1893)

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Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, April 1893. 
Dafs auch jetzt, nachdem der Reiz der Neuheit an der Verfolgung der 
barometrischen Maxima und Minima auf den Karten verschwunden ist, doch die 
Vertheilung des Luftdrucks in der Sprache der modernen Meteorologie die vor- 
nehmste Rolle spielt, dafür möchte Referent dasjenige als Begründung anführen, 
was er in der Vierteljahrs-Wetter-Rundschau vom Herbst 18834 (diese Annalen, 
1888, S. 355) gesagt hat: 
„Dafs bei der unabweisbaren Nothwendigkeit einer engen Beschränkung 
des zu Gebenden die Wahl, wie man sieht, ausschliefslich auf Momente gefallen 
ist, welche der Vertheilung des Luftdrucks entnommen sind, hat seinen Grund 
darin, dafs wir in dieser Vertheilung den einfachsten, klarsten und allgemeinsten 
Ausdruck für die gesammte Wetterlage und insbesondere für die Bewegungen 
der Atmosphäre besitzen, einen nicht nur weit übersichtlicheren, sondern auch 
weit allgemeineren, als in den Angaben über die Winde an der Erdoberfläche. 
Denn die Letzteren geben uns nur die Bewegung in der untersten Luftschicht, 
häufig noch dazu lokal gestört; die Vertheilung des Luftdrucks im Meeresniveau 
aber gestattet im Zusammenhalt mit jener der Temperatur dem Kundigen, die 
Richtung und Stärke der Luftströmungen durch die ganze Atmosphäre mit mehr 
oder minder grofser Genauigkeit festzustellen.‘ 
Vorläufig haben wir noch keine andre Ausdrucksweise, welche es an Kürze 
und Prägnanz mit der auf die Druckvertheilung basirten auch nur entfernt auf- 
nehmen könnte. Mit der Zeit werden wir vielleicht wieder von „Strömen“ reden 
können, wenn uns deren Definition und Abgrenzung besser als bisher gelungen 
zein wird. Bis dahin bitten wir auch die Fernerstehenden, sich bei jeder „Depression“, 
„Cyklone“, „Antieyklone“ zu denken: „und Alles, was damit zusammenhängt.“ 
Was darin sogenannte „Ursache“, was „Wirkung“ ist, ist dabei vorläufig 
gleichgültig. 
Der Verfasser hält den „modernen Meteorologen‘“ vor, es sei schwer, anzu- 
nehmen, daß alle die ehrwürdigen, verdienten Männer, die vor ihnen mit demselben 
Gegenstande sich beschäftigt haben, im Aberglauben befangen gewesen seien; 
wahrscheinlicher sei es, dafs sie Theilstücke der Wahrheit, diese aber recht 
zesehen haben. Wir unterschreiben das aus vollem Herzen und wünschen, dafs 
man auch von uns dereinst dasselbe sagen möge. Es kann aber unmöglich aus- 
bleiben, dafs hier und da beim Bau der Wissenschaft ein Stein falsch gesetzt 
wird; dann ist es oft nicht mehr möglich, ihn zurechtzuschieben, sondern statt 
'hn zu verputzen und zu flicken, ist es besser, ihn und die darauf ruhenden 
abzutragen und so gut als möglich neu zu setzen. Mancher anscheinend kapitale 
Stein erweist sich auch nachträglich als brüchig, und mancher einst verworfene 
Stein, wie Brandes’ Lehren und Vettin’s Experimente, erweist sich als gut zu 
einem Eckstein — das wird so hleiben, so lange die Bauarbeiter eben 
Menschen sind. 
Doch wir dürfen diese Besprechung nicht über Gebühr ausdehnen. Wir 
bemerken nur noch, dafs der erste Vortrag „die Braunschweiger etc. Hagelstürme 
am 1. Juli 1891“, der zweite „das Dampfschiff »Jndiana« im Orkan am 29. August 
1891“ und der dritte „die sogen. »moderne, geläuterte« Meteorologie“ behandelt. 
Die Aeufßserungen des Verfassers über den eingangs erwähnten Orkan der 
„Indiana“ bieten ein Beispiel der leider auf diesem Gebiete aufserhalb des Kreises 
der Seeleute und Fachmeteorologen so häufig anzutreffenden Uebereilung des 
Urtheils. Herr Blasius fulßt auf einer einzigen dürftigen Zeitungsnotiz; 
dennoch ist er bereit, den Kapitän und die „moderne Meteorologie‘ anzu- 
klagen, dafs sie die schwere Gefahr verschuldet hätten, in die das Schiff 
yerieth, da diese bei Befolgung seiner, des Verfassers, richtigen Anschauungen 
leicht hätte vermieden werden können. Wie wenig begründet diese ver- 
messene Behauptung ist, zeigt die Washingtoner Pilot Chart für Oktober 
1891 und Juli 1892, wo dieser Sturm nach viel größerem Beobachtungsmaterial 
als ein regelrechter Wirbelsturm vom "Typus der westindischen Orkane sich 
erweist, mit kleinem Durchmesser, aber grofser Intensität, und die roh parabel- 
förmige Bahn von dessen Centrum von gegenüber Portorico bis jenseits Neufund- 
land verfolgt werden konnte. Allein wenn der Charakter des Sturmes auch ein 
anderer gewesen wäre — die Schroffheit des Urtheils steht mit der Schwäche 
zeiner Begründung jedenfalls in schreiendem Widerspruch!
	        
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