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Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, März 1893,
Bemerkung zu Dr. Köppen’s Aufsatz: „Die grofsen Strömungen
des atmosphärischen Kreislaufs.“
Von M. P. RUDsxı Privatdocent der Geographie an der Universität zu Odessa.
Ich möchte in dieser kurzen Note eine Bemerkung zum obengenannten
Aufsatze hinzufügen. Dr. Köppen bespricht auf Seite 385 u. f. den Verlust
der mechanischen Energie bei den Luftströmungen. Indem ich seinen KErörte-
rungen völlig beistimme, möchte ich doch die Aufmerksamkeit der Meteorologen
auf eine Thatsache lenken, welche wahrscheinlich den Hauptgrund des enormen
Energieverlustes bei den Luftbewegungen bildet,
Den Hydraulikern ist es schon längst bekannt, dafs die Bewegung des
fließenden Wassers eigentlich nicht flielsend, sondern rollend, pulsirend (wie
Humphreys und Abbot sagen), wirbelnd (wie sich Harlacher, Boussinesgq,
Saint Venant ausdrücken) ist. Nur in kapillaren Röhren fließt das Wasser
ganz ruhig, in allen gröfseren Röhren und Kanälen bilden sich beständig un-
zählige winzige Wirbel (mit den Elementarwirbeln der Hydrodynamik nicht zu
verwechseln).
Bei seinen schönen Experimenten machte Reynolds („Phil. Trans.
CLXXIV, II. Theil) diese Wirbelchen sichtbar, indem er einen Strahl farbigen
Wassers in die Röhre einführte. Am Anfang der Röhre, insbesondere bei
elektrischer Beleuchtung, sah man den farbigen Wasserstrahl sich in kleine
Wirbelchen (eddies) auflösen, etwas weiter war schon das farbige Wasser mit
dem übrigen vermischt, und man konnte nichts mehr von den Wirbeln wahrnehmen.
Die genannten Experimente Reynolds haben gezeigt, dafs das Fliefsen
des Wassers eine an und für sich unstabile Bewegung ist. Bei einer kritischen
mittleren Geschwindigkeit oder eigentlich bei gewissen kritischen relativen Ge-
schwindigkeiten, bestimmt durch den Querschnitt der Röhre oder des Kanals
und den Kogfficienten der inneren Reibung, wird diese Bewegungsart unstabil.
Die kleinste Perturbation genügt, um die fliefsende Bewegung in eine rollende,
wirbelude zu verwandeln. Die Rauhheit der Wände des Kanals wirkt nicht un-
mittelbar, sondern mittelbar auf den genannten Vorgang. Sie giebt Anlafs zu
kleinen Perturbationen der Bewegung, welche, sobald die kritischen relativen
Geschwindigkeiten erreicht sind, hinreichen, um die fliefsende reguläre Bewegung
momentan in eine wirbelnde zu verwandeln,
Die kritischen relativen Geschwindigkeiten (streng mathematisch gesagt,
kritische Differentialquotienten nach den Koordinaten) sind sehr klein. Beim
Wasser ist die reguläre flielsende Bewegung nur in kapillaren Röhren möglich.
Bei zähflüssigen Flüssigkeiten sind dieselben kritischen Geschwindigkeiten
weit größer.
Es ist nun mehr wie wahrscheinlich, dafs derselbe Vorgang auch bei der
Luft zutrifft. So wie in der Praxis das Wasser beinahe immer sich wirbelnd
bewegt, so mufs sich auch die Luft eigentlich beinahe immer wirbelnd bewegen.
Nur können wir die winzigen Wirbelchen weder empfinden noch sehen. Nur die
gröfseren unter ihnen können als kleine Windstöße wahrgenommen werden.
Die Trepidation der Windfahnen und Anemometer rührt auch von diesen
Wirbeln her.
Nun ist bei wirbelnder Wasserbewegung der Widerstand gröfser, wie bei
der fliefsenden regulären, die mittlere Geschwindigkeit aber viel kleiner.
Bei fließender Wasserbewegung ist der Widerstand proportional der mitt-
leren Geschwindigkeit, bei der wirbelnden Bewegung ist das Gesetz des Wider-
standes viel verwickelter; im Allgemeinen aber ist er beinahe dem Quadrate
der mittleren Geschwindigkeit proportional, wie man aus der Vergleichung von
zahlreichen, zuweilen verwickelten Experimentalformeln von Prony, Chezy,
Eitelwein, Tadini, Saint Venant, Bornemann, Gauckler und Anderen
ersehen kann.
„Ann. d. Hydr. ete.“. 1892, Heft XT.