Ann. d. Hydr. ete., XX. Jahrg. (1892), Heft III.
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Ueber eine einfache Lösung des Längenproblems durch
Sternbedeckungen.
Von Heinrich Florian in Wien.
Das immer mehr und mehr zu Tage tretende Streben des Seefahrers, die
nautischen Rechnungen überall möglichst abzukürzen, veranlafste die Fachmänner,
auch die umständliche Lösung des Problems der Sternbedeckungen in den Kreis
ihrer Untersuchungen zu ziehen, und waren es namentlich die graphischen
Methoden, welche berufen schienen, hier eine Rolle zu spielen. Es fehlt in der
nautischen Literatur auch nicht an mannigfachen derartigen Lösungen, doch
erreichen sie ihren eigentlichen Zweck insofern nicht, als die praktische Aus-
führung einer umfangreichen und rein geometrischen Konstruktion mit ihren
uanvermeidlichen Fehlern immerhin nur ungenaue Resultate liefern kann. Die
gemischten Lösungen, d. h. theils rechnenden theils graphischen, verdienen hier
unbedingt den Vorzug, und ist es. der Zweck der nachstehenden Zeilen, eine
neue Lösung des in Rede stehenden Längenproblems, welche noch kürzer als
alle bisherigen ausfällt und unter allen Umständen genau ist, zur weiteren
Kenntnifs zu bringen,
Erläuterung der Methode. Passirt ein Fixstern den Deklinationskreis
des Mondmittelpunktes, d. h. stehen die genannten zwei Gestirne (im Bezug auf
das System des Aequators) in wahrer Konjunktion zu einander, so haben die-
selben die gleiche gerade Aufsteigung oder Rektascension. Denkt man sich vom
Monde nur seinen Durchmesser im Deklinationskreise allein sichtbar, so hat ein
Stern in dem Momente, wo er diesen Durchmesser passirt (für den Mittelpunkt
der Erde) mit dem Mondmittelpunkte die gleiche Rektaseension. Da nun die
A des Sternes bekannt und stabil ist, ließe sich leicht aus den Mondtafeln
durch Interpolation die Greenwicher Zeit jenes Momentes finden, welche diesem
Rektascensionswerthe entspricht; vergliche man diese mit der Ortszeit der Beob-
achtung dieser Passage, so ergäbe sich direkt die Länge. .
In Wirklichkeit gestaltet sich die Sache jedoch nicht so einfach, da einer-
seits der Beobachter sich nicht im Mittelpunkte der Erde befindet und andererseits
nicht die Passage des Sternes durch den Durchmesser am Deklinationskreise,
sondern nur dessen KEintritt in den Mondrand oder Austritt aus demselben
beobachtet werden kann. Dem Beobachter auf der Erdoberfläche würde das
Phänomen einer Sternbedeckung aus diesen beiden Gründen zu einer anderen
Zeit sichtbar sein, denn der Fixstern erscheint wegen seiner überaus grofsen
Entfernung dem Beobachter wohl in derselben Richtung, der nahe Mond jedoch,
bei seiner grofsen Parallaxe, in einer anderen relativen Position zum Fixsterne.
Es. kann demnach der Fall eintreten, daß für den Mittelpunkt der Erde eine
Sternbedeckung stattfindet, für den Beobachter auf der Erdoberfläche jedoch
keine sichtbar wird und umgekehrt.
Denkt man sich den Mittelpunkt O der Erde mit dem Fixstern S durch
eine Gerade verbunden und durch den Mondmittelpunkt L_ eine senkrechte Ebene
auf diese im Weltraum fix gedachte Richtungslinie gelegt (Fig. 2), so läfst sich
auf diese Ebene, als Projektionsebene betrachtet, der Beobachtungsort M, sowie
die Mondbahn orthogonal projiciren (Fig. 1). Die Mondbahn kann für die
kleinen hier in Betracht kommenden Bewegungsgröfsen, als geradlinig, und in
die Projektionsebene fallend, betrachtet werden. Die Projektion M‘ des Beob-
achtungsortes M giebt zugleich den Ort an, wo der Fixstern dem Beobachter
erscheint, da alle Projektionsstrahlen zu einem unendlich weit entfernten Punkte
parallel laufen. Legt man durch die erwähnte Richtungslinie zwei auf einander
senkrechte Ebenen, wovon die eine durch die Erdaxe geht (diese geht zugleich
auch durch den Deklinationskreis des Sternes), so bilden die Schnittlinien dieser