Ann. d. Hydr. ete., XX. Jahrg. (1892), Heft XIL
SU
Die Entdeckung Amerikas, ein Wendepunkt in dem Verkehr
der Völker der Erde.
Das Jahr 1892 soll nicht zu Ende gehen, ohne dafs in dieser Zeitschrift
der 400jährigen Säkularfeier der Entdeckung Amerikas gedacht worden wäre.
Es ist allerdings eine recht schwierige Sache, zur gegenwärtigen Zeit irgend
etwas Neues beizubringen oder einen neuen Gesichtspunkt hervorzuheben,
geeignet, das Interesse noch in erhöhtem Mafse in Anspruch zu nehmen, als es
schon durch die im Laufe dieses Jahres herausgegebenen Werke, die zahllosen
Abhandlungen in Zeitschriften und die Vorträge, welche gehalten worden sind,
geschehen ist. Man darf kaum erwarten, durch weitere Erörterung der Wichtigkeit
des Ereignisses zu einer volleren Würdigung und einem gründlicheren Verständnisse
desselben beitragen zu können, und es soll denn auch die Aufgabe dieser wenigen Aus-
führungen sein, von einem bestimmten Gesichtspunkte aus, der besonders das
nautische Publikum interessiren dürfte, die Entdeckung Amerikas zu beleuchten.
Als ein solcher Gesichtspunkt bietet sich die Betrachtung über den Einflufs auf
das Verkehrsleben der Völker der Erde dar. Dabei ist es nicht etwa die
Absicht, die viel umstrittene Frage über die seemännischen Qualitäten des grofsen
Entdeckers der Neuen Welt auch nur zu berühren oder gar im Besondern seine
kosmographischen und nautischen Kentnisse zu beleuchten, indem wir annehmen,
dafs kaum mehr ein wesentlicher Unterschied in der Auffassung über diese
Punkte für jene bestehen kann, welche sich ernstlich und objektiv mit dem
Studium der einschlägigen Litteratur befafst haben. XNur eine Thatsache
wünschten wir, ehe zu dem eigentlichen Thema des Aufsatzes übergegangen wird,
zu erwähnen, weil sich erst in neuerer Zeit darüber eine größere Klarheit
ergeben hat und deshalb wohl auch noch Differenzen darüber angenommen werden
können. Wir meinen nämlich die Verhandlungen, welche mit Christoph
Columbus durch die verschiedenen Kommissionen in Portugal und in Spanien
statigehabt haben und gehabt haben sollen. Es ist die Klarlegung dieser Sache
von Bedeutung mit Bezug auf die Kenntnisse in astronomischen und nautischen
Dingen in der den grofsen Entdeckungen unmittelbar vorhergehenden Zeit, weil
man erst dadurch ein Urtheil zu gewinnen vermag, worauf die Entwickelung der
Navigation in den darauffolgenden Zeiten weiter bauen konnte. .
Mit Beziehung auf die Konferenzen in Lissabon kann es keinem Zweifel
unterliegen, dafs die von Johann II. berufene Junta wirklich in den ersten
Jahren des 8. Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts stattgehabt hatte und dafs diese
Junta von dem Bischof Diogo Ortiz den Aerzten Rodrigo und Jose übertragen
worden war und sich im Besonderen mit den Plänen und Vorschlägen des Columbus,
welche sich auf die Entdeckungen im Atlantischen Ocean nach Westen hin bezogen,
zu befassen hatte. Der berühmte Nürnberger. Kartograph und Kosmograph
Martin Behaim gehörte nicht, wie Viele anzunehmen geneigt waren, dieser
Kommission an, und zwar wahrscheinlich aus dem Grunde, weil man anuvahm,
dafs er durch den ihm befreundeten Columbus hinsichtlich dessen Pläne vor-
eingenommen sei; was für unsere Betrachtung aber unendlich wichtiger, ist die
Thatsache, dafs der grofse Gelehrte und praktische Seefahrer‘) Mitglied einer
Junta war, welche aus den beiden vorhin genannten jüdischen Aerzten und den
Bischöfen Diogo Ortiz und Colcadilha bestand, und dafs sich dieselbe, anknüpfend
an die nautischen Untersuchungen des im Jahre 1460 verstorbenen portugiesischen
[nfanten Henrique?) mit der Verbesserung der nautischen Instrumente, Tafeln
1) Clements Markham sagt in „A life of John Davis“ von Behaim; „He first combined
ihe theoretical knowledge of a student with the practice of a Navigator. He had burnt the mid-
night oil while posing over the pages of Almagest and he had accompanied Diogo Cam when
hat explorer reached the mouth of the Congo, .
2) Dritter Sohn König Johanns I., Grofsmeister des Christusordens, dessen Schätze er zu den
Zwecken der Seefahrt benutzte.