384 Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, November 1892.
gleichförmig vorausgesetzte) Geschwindigkeit der Luft. Nur am Aequator ist in
diesem Falle auch der Gradient Null; je weiter wir polwärts fortschreiten, desto
gröfser wird der für eine gegebene gleichförmige Geschwindigkeit nothwendige
Gradient. Es steht uns also hier keineswegs frei, beliebig grofse Geschwindig-
keiten der oberen Ströme vorauszusetzen, Ist v die Geschwindigkeit in m Pp.8.,
G der Gradient in Millimetern per Aequatorgrad, © die geographische Breite,
b der Barometerstand in der betreffenden Schicht, by, und t, Barometerstand
und Temperatur im Meeresniveau, so kann das gröfste mögliche v in beliebigen
Luftschichten mit ausreichender Genauigkeit berechnet werden“) nach der Formel
log v = log G + 1,24180 — log sin # + log (7 + 53). Der in der
betreffenden Schicht herrschende Gradient G muls freilich erst. aus der Druck-
vertheilung im Meeresniveau und aus der Temperaturvertheilung berechnet
werden, wobei die letztere innerhalb gewisser Grenzen unsicher ist. Aber diese
Unsicherheit nimmt allmählich durch die Ergebnisse der Beobachtungen auf
Berggipfeln und Ballonfahrten ab, und ihre immer weitere Einschränkung
ist eine der dringendsten Aufgaben der heutigen Meteorologie. Immerhin
ist diese Unsicherheit nicht so grofs, daß wir nicht mit Bestimmtheit die
Gröfsenordnung erkennen könnten, um welche es sich hei den Bewegungen der
höheren Schichten handelt, und es zeigt sich, dafs wir unvergleichlich größere
Gradienten auch am Erdboden haben müfsten, wenn die obere Hälfte der Atmo-
sphäre jene planetarischen Geschwindigkeiten von Hunderten von Metern p. 8.
haben würde, welche sie bei reibungsloser Versetzung aus einer Breite in die
andere haben müfte; in Wirklichkeit finden wir kaum ein Zehntel davon. Da
die Geschwindigkeit, welche ein und derselben Druckdifferenz auf die Entfernungs-
einheit (Gradient) entspricht, in den oberen Schichten ungefähr umgekehrt pro-
portional dem Luftdrucke zunimmt, so können freilich an der oberen Grenze der
Atmosphäre leicht so ungeheure Geschwindigkeiten entstehen, wie ‚sie in der
That an den leuchtenden Nachtwolken (in ca 80 km Höhe) beobachtet wurden;
aber die Massen, um die es sich dort handelt, sind eben schon so geringfügig,
dafs sie für den Kreislauf der Atmosphäre nicht mehr in Betracht kommen.
fläche an rascher Bewegung gehindert, der durch den gewaltigen oberen Wirbel erzeugte Gradient
aber mufs sich auch nach unten fortpflanzen und saugt so diese untere, zu langsam bewegte Luft
nach dem Centralgebiet des Wirbels hin.
An wenigen Naturerscheinungen zeigt sich die Unvollkommenheit des landläufigen Begriffs
von „Ursache und Wirkung“ so deutlich, wie an Gradient und Wind. Dieser aus unserem inneren
Leben, aus dem Verhältnifs zwischen „Motiv“ und „That“ entnommene Begriff wird auf die äufsere
Natur in der verschiedensten Weise angewandt, und die einzige, auf alle diese Anwendungen der
beiden Worte passende Definition lautet (wenn man nicht durch willkürliche Einschränkung des
Begriffs vom Sprachgebrauch abweichen will) für beide: „Nothwendige Begleiterscheinung“, wobei die
„nothwendige Bedingung“ als Ursache, die „nothwendige Folge“ als Wirkung gilt. Im vorliegenden
Falle sind nun überall, wo die Wirkung der Erdrotation hinzutritt (also in unseren Breiten bei jeder
horizontalen Luftbewegung), Gradient und Wind gegenseitig „nothwendige Bedingungen“, so dafs es
für diejenige Komponente des Wiudes, welche zum Gradienten rechtwinklig steht, ebenso verkehrt
ist, zu sagen: der Gradient sei die Ursache des Windes, als zu sagen: der Wind sei die Ursache
des Gradienten. Beide bedingen einander nothwendig gegenseitig. Anders steht es schon mit der-
jenigen Komponente des Windes, welche in die Richtung des Gradienten fällt. Ist sie positiv, d. h.
wird Luft vom höheren zum niedrigeren Druck befördert („einströmender Wind“ in Beziehung auf
die Depression), so setzt sich eine Komponente des Gradienten in Ueberwindung der Reibung oder
in Beschleunigung der Luftbewegung um und wird dabei ein Theil des Gradienten zerstört; ist diese
Komponente negativ, d. h. findet Lufttransport vom niederen zum höheren Gradienten statt, so setzt
sich eine Komponente des Gradienten in Verzögerung der Bewegung um und der Gradient wächst
dabei. Im ersteren Falle kann man also insoweit den Gradienten als die Ursache des Windes, im
letzteren den Wind als Ursache des Gradienten betrachten. In der allgemeinen Cirkulation unserer
Breiten stellt in diesem Sinne in der obersten und untersten Schicht der Gradient die Ursache, der
Wind die Wirkung dar, der Wind wirkt hier vorwiegend gradientenzerstörend; in der mittleren
Schicht wirkt umgekehrt der Luftstrom gradientenerzeugend und tritt also hier seinerseits als Ur-
sache auf,
Die Zunahme des Gradienten, welche als nothwendige Folge eines Transportes von Luft aus
der Depression nach dem umgebenden höheren Druck erscheint, ist indessen für das Zustandekommen
eines stabilen Gleichgewichtes nicht nöthig; denn auch die Planeten kehren sus ihrem Aphel wieder
zur Sonne zurück und der geworfene Stein vun seinem höchsten Punkt zur Erde, trotzdem die An-
ziehungskraft mit der Entfernung abnimmt; es genügt, dafs eine Komponente der Bewegung in die
Richtung der Centralkraft fällt und eine andere dazu rechtwinklig, um diese periodischen Um-
setzungen von lebendiger Kraft in Spannkraft und umgekehrt hervorzubringen.
2 Vel. Köppen in der Zeitschrift Humboldt, 1888, Seite 453.