Ann. d. Hydr. ete., XX. Jahrg. (1892), Heft XI.
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Ausgewählte tropische Wirbelstürme im südlichen Indischen Ocean.
Im Auftrage der Direktion der Seewarte bearbeitet
von Kapt. CARL H. SEEMANN und Prof, Dr. W. KÖPPEN.
Vorbemerkungen. Bei der Bearbeitung des Segelhandbuches für den
Indischen Ocean ergab sich ein solcher Reichthum an interessantem Material,
dafs nur ein kleiner Theil der untersuchten Fälle als Beispiele Aufnahme in
dem Handbuch finden. konnte, der Rest aber nur in den allgemeinen Ergebnissen
Verwendung fand. Zur weiteren Verwerthung der umfassenden Vorarbeiten ent-
schied sich die Direktion für eine Veröffentlichung der Diskussion einer aus-
gewählten Reihe von tropischen Wirbelstürmen der südlichen Hemisphäre, welche
hiermit dem wissenschaftlichen und seemännischen Publikum vorgelegt wird.
Von diesen Beschreibungen ist die Mehrzahl . ausschliefslich auf den Jour-
nalen von deutschen Schiffen, welche für die Seewarte mit kontrolirten Instru-
menten beobachten, gegründet, drei Fälle sind dagegen nach älterem, in
Mauritius gesammeltem Material neu bearbeitet. Besonderes Gewicht haben wir
auf die anschauliche graphische Darstellung der Phänomene legen zu sollen
geglaubt, während wir den Text in den Fällen, wo schon eine Besprechung des
betr. Sturmes in den „Annalen der Hydrographie und Mar, Meteorologie“ oder
im Segelhandbuch erschienen ist, sehr kurz gefafst haben.
Die Abhandlung war ursprünglich für „Aus dem Archiv der Deutschen
Seewarte“ bestimmt; der im Segelhandbuch auf Seite 279 gemachte Hinweis ist
daher auf das hiermit zur Veröffentlichung Kommende zu beziehen.
. Bei der Auswahl der Orkane haben wir uns auf den Raum zwischen
53° und 93° östlicher Länge beschränkt, weil nur hier ausgiebiges Material vor-
lag, welches gestattete, die betr. Phänomene zu überblicken und zu verfolgen.
Die Bahnen der Wirbelcentren in diesem Gebiete findet man nach den vieljährigen
Sammlungen von Meldrum in einer neuen Publikation des Londoner „Meteoro-
logical Office“ (Official No. 90) und im Augustheft 1892 dieser Annalen dar-
gestellt. Von den zwischen den Cocos-Inseln und der Torres-Strafse, bezw.
zwischen Java und Australien auftretenden Orkanen findet man einige Beispiele
diskutirt im Segelhandbuch für den Indischen Ocean, S. 280 bis 284 und an den
dort erwähnten Stellen in den „Ann. d. Hydr. u. Mar. Met.“ Ueber Stürme in
den ostafrikanischen Gewässern sind neben dem auf S. 480 bis 482 des Segel-
handbuches der Seewarte Beigebrachten einige Arbeiten von französischen Marine-
offizieren erwähnenswerth, besonders diejenige des Herrn Cornulier-Luciniere:
„Ouragans de Madagascar en 1885“ in der Revue maritime et coloniale, Bü. 96,
S, 458. Doch ist bei allen diesen Darstellungen das Material ein recht spärliches
und einseitiges, das mit dem östlich von Mauritius gewonnenen keinen Vergleich
aushält.
Wir wollen zunächst 7 Stürme von der Mitte des Oceans, zwischen 70° und
105° O-Lg betrachten, von denen einer auf den Dezember und je zwei auf die
Monate Februar, März und Mai fallen, und zum Schlufs drei Mauritius-Cyklone
aus den Monaten Februar bis April. Aus den Bahnenkärtchen im August-
hefte 1892 der „Ann. d. Hydr. u. Mar. Met.“ geht hervor, dafs die Orkane
bei Mauritius sich mehr auf die eigentlichen Orkanmonate Januar bis März zu-
sammendrängen und den westlichsten Punkt ihrer Bahn in höherer Breite
erreichen als die östlich von 77° O-Lg auftretenden, bei welchen man besonders
im April und Mai schon in der niedrigen Breite von 9° bis 13° Süd auf eine
Umbiegung nach Osten gefalst sein muls.