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Die Gezeitenerscheinungen und die Navigirung auf der unteren Seine.
einer Stelle desselben, stattgefunden, so telegraphirt es genannte Behörde dem
Lootscnamte, welches dies den Lootsen sobald als möglich bekannt macht. Es
sind daher dem Lootsenamte die Tiefen- und Lagen-Yerhältnisse des Fahr
kanales stets bekannt, und aus ersteren läfst sich auf die Tiefen während des
nächsten Hochwassers im Voraus schliefsen. Die zu erwartenden Tiefen werden
in Havre, Honfleur, Quilleboeuf, Villequier und Duclair durch Anschlag bekannt
gemacht.
Die Richtung des Fahrwassers ist, wie bei der Beschreibung der Seine-
Bucht erwähnt wurde, durch schwarze und rothe Tonnen bezeichnet. Je zwei
zu einer Reihe gehörige Tonnen sind 1 km von einander entfernt und so ver
ankert, dafs immer eine Tonne gegenüber der Mitte der Entfernung zweier
Tonnen der anderen Reihe liegt. Durch diese Anordnung kann man die Rich
tung des Fahrwassers von 500 zu 500 m verfolgen.
Auf Kap la liève befindet sich ein Signalmast, welcher die zu erwarten
den Tiefen auf den flachsten Stellen der Bucht zur Zeit des nächsten Hoch
wassers, gutes Wetter und ruhige See vorausgesetzt, signalisirt. Bei West
winden sind die Tiefen etwas gröfser und bei Ostwinden etwas kleiner, als die
Signale angeben. Ein zweiter Signalmast soll südlich von der Mündung der
Bucht bei Vasouy, etwas westlich von Honfleur, errichtet werden. Aufserdem
werden die Wasserstände auf den Barren von St. Léonard, Aizier, les Flaques
und Villequier auf einer grofsen Tafel am Kai von Quilleboeuf angegeben.
Diese Angaben sind vom Flusse aus leicht zu erkennen. Ferner befinden sich
in der eingedämmten Seine von Strecke zu Strecke Pegel, an welchen der
Wasserstand abgelesen werden kann, sowie Signalmaste, welche bei Tage
mittelst weifser Bälle und des Nachts mittelst farbiger Lichter die Tiefen an
geben. Der Flufs ist des Nachts durchweg gut beleuchtet.
Es scheinen somit alle Yorsichtsmafsregeln getroffen zu sein, um Unglücks
fälle zu verhüten.
Die Aufgabe der Lootsen besteht darin, sich zwischen den Tonnen zu
halten und die Navigirung nach den signalisirten Tiefen zu regeln, indem sie
den Unterschied zwischen der Höhe des Hochwassers an einem zu passirenden
Orte und der daselbst zu erwartenden Tiefe in Rechnung ziehen. Die Angaben
hierüber sind in einem kleinen Buche enthalten, welches sie stets bei sich haben.
Ein Schiff von geringem Tiefgang kann vor Eintritt des Hochwassers,
wenn der Maskaret seine gröfste Stärke verloren hat, passiren und gewinnt
dann viel Zeit, weil es den Strom eine Strecke mit sich hat. Das erste Hoch
wasser wird in der Bucht, wo der Maskaret nicht auftritt, benutzt. Mau
benutzt es wohl auch in der eingedämmten Seine, doch ist dies nicht ganz
ungefährlich.
Ist das Wetter gut und kein Seegang, so kann man eine Untiefe, falls
sie nicht zu breit ist, mit 20 oder 25 cm Wasser unter dem Kiel passiren, doch
ist dies nicht ungefährlich. Geschieht es einige Minuten zu früh oder zu spät,
so setzt man sich der Gefahr aus, zu stranden.
Geht man mit einem Schiffe von grofsem Tiefgange nach Rouen hinauf,
so darf man nicht aufser Acht lassen, dafs es im Flusse tiefer einsinkt, als in
See. Der Unterschied ist nicht ganz unbedeutend. So hatte z. B. der Dampfer
n Obock u , dessen Tiefgang 6,9 m in See betrug, in Rouen einen solchen von 7,05 m.
So lange der Hafen von Radicatelle, zwischen Quilleboeuf und Tancar-
ville, Dicht verbessert worden ist, eignet er sich wegen der bei Hochwasser-
koëfficienten von über 0,67 m zu erwartenden heftigen kreisförmigen Strömungen
nicht als Ankerplatz. Dieser Hafen hat bei einer Länge von 900 m und einer
Breite von 150 m fast überall nicht weniger als 8 m Tiefe. Könnte er immer
als Ankerplatz benutzt werden, so würden die Schiffe wegen der Nähe der
Bucht spätestens 2 Stunden nach Hochwasser in Havre, zu welcher Zeit das
Wasser nicht viel gefallen ist, ihre Fahrt fortsetzen können. In diesem Falle
würden sie zur rechten Zeit die Mündung zwischen den Bänken Amfard und
le Ratier erreichen. Dies würden alle Schiffe, welche abwärts 0,1 bis 0,6 m
weniger Tiefgang haben als sie stromaufwärts hatten, ausführen können. Auch
stromaufwärts gehende Schiffe, deren weitere Fahrt vom Wasserstande weiter
oben im Flusse abhängt, könnten in Radicatelle das erste Hochwasser oberhalb
dieses Ortes abwarten und mit diesem dann ihre Fahrt fortsetzen.