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Die Gezeitenerscheinungen und die Navigirung auf der unteren Seine.
dessen hebt sich ihr Gipfel; namentlich geschieht dies in der eingedämmten
Seine. Der dritte zur Entstehung des Maskaret mitwirkende Faktor ist der
Ebbestrom. Dieser, durch die Gewässer der Seine und Rille verstärkt, läuft
der heraufkommenden Fluth entgegen und verursacht eine vorübergehende
Stauung des Fluthwassers, welches schliefslich, einen Theil des Ebbewassers
mit sich führend, als Maskaret mit grofser Geschwindigkeit stromaufwärts eilt.
Je gröfser der Fluthwechsel und die Geschwindigkeit des abwärts fliefsen-
den Stromes ist, desto heftiger ist der Maskaret. Der Ebbestrom läuft bei
gleicher Höhe der Fluth nach einer Syzygie schneller, als vor derselben, und
wird durch abwärts wehende Winde verstärkt, während die stromaufwärts
wehenden ihn abschwächen. Ist die Seine angeschwollen, so ist der Maskaret
im unteren Theile derselben, wo sich ihr hoher Wasserstand nur durch die
Geschwindigkeitszunahme des abfliefsenden Wassers bemerkbar macht, stärker,
weiter oben aber schwächer, als bei normalem Wasserstande des Flusses.
Während der gröfston Stärke des Maskaret ist an einigen Stellen des
Flusses ein heftiger kreisförmiger Strom, welcher zuweilen Schiffe nach allen
Kompafsrichtungen dreht. Die Lootseu nennen diese Strömungen „bonillards“.
Vor der eingedämmten Seine ist die Höhe des Maskaret noch unerheblich,
weil die Ungleichheit des Wasserniveaus zwischen diesem Theile und dem
übrigen der Bucht unbedeutend ist und das Zurückdrängen des Ebbestromes
nach der Rille und Seine hin stattfindet; weiter aufwärts findet dies aber nur
in der Seine statt, und da dieselbe bedeutend schmaler ist als die Bucht, nimmt
der Maskaret bald an Höhe und Breite zu, so dafs er sich stellenweise über
den ganzen Flufs ausbreitet. Bei Tancarville ist er schon sehr heftig, erstreckt
sich aber nur über ungefähr zwei Drittel des nördlichen Fahrwassers. In der
Krümmung des Flusses bei Radicatel flacht er sich etwas ab und nimmt von
da seinen Lauf nach Quilleboeuf, wo er fast genau 3 h 37“ nach Niedrigwasser
von Havre anlangt. Nuu nimmt er die ganze Breite des Flusses ein, wie über
all, wo derselbe keine Krümmung hat. Bei Caudebec und Villequier tritt er
noch sehr heftig auf, wird aber dann schwächer und hat in der Gegend von
la Mailleraye viel von seiner Stärke verloren. Bei Duclair wird er ungefährlich
und in Rouen äufsert er sich nur durch eine mehr oder weniger starke Wellen
bewegung.
Hochwasser in der eingedämmten Seine. Die 14km lange Strecke
von der Einfahrt der eingedämmten Seine bis Quilleboeuf legt der Maskaret in
ca 47 Minuten, also mit einer mittleren Geschwindigkeit von etwa 18 km pro
Stunde, zurück. Diese Geschwindigkeit ist jedoch keine gleichförmige, denn sie
beträgt in der Einfahrt der eingedämmten Seine 12 km, bei la Roque 18 km,
bei Tancarville 20 km und bei Quilleboeuf 24 km pro Stunde.
Zwischen Quilleboeuf und Caudebec schreitet er nach den Aufzeichnungen
der Fluthmesser und den Tabellen der Hoch- und Niedrigwasser mit einer
mittleren Geschwindigkeit von 22 km und von letzterem Orte bis Rouen mit
26 km mittlerer Geschwindigkeit fort.
Bei Quilleboeuf fährt das Wasser fort zu steigen, nachdem der Maskaret
den Ort passirt hat, und bei einem Hochwasserkoöfficienten von 0,79 m tritt
Hochwasser l h 20“ nach Niedrigwasser ein. Das Wasser steigt daselbst 5,2 in,
anfangs sehr langsam, dann sehr schnell, so dafs fast das ganze Steigen in
3 / 4 Stunden stattfindet. Ist der Hochwasserkoefficient kleiner, so tritt das
Hochwasser später ein, und zwar verspätet es sich im Verhältnifs zur Abnahme
dieses Koöfficienten.
Beträgt der Hochwasserkoöfficieut 0,79 m, so nimmt Dach dem Eintreten
des Hochwassers die Geschwindigkeit des Fluthstromes, welche vorher beträcht
lich war, bis 3 Kn ab. Das Hochwasser dauert nur fünf Minuten, dann fällt
das Wasser während l h 15“ um ca 1,3 m, und der Fluthstrom hört für kurze
Zeit vollständig auf. Er stellt sich jedoch bald wieder eiD, das Wasser beginnt
wieder zu steigen, und nach 50 Minuten entsteht ein zweites Hochwasser,
welches 0,8 bis 0,9 m niedriger ist, als das erste. Die Dauer desselben beträgt
10 bis 30 Minuten. Ungefähr 1 Stunde 30 Minuten nach dem Eintreten des
zweiten Hochwassers setzt der Fluthstrom, dessen Geschwindigkeit kaum noch
3 Kn beträgt, in Ebbestrom um. Die Dauer des Fluthstromes ist etwas geringer
als 5 Stunden und die des Ebbestromes 7 Stunden 25 Minuten.