Die Eisverhältuisse im nördlichen Atlantischen Ocean im Frühjahr 1890.
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Die Eisverhältnisse im nördlichen Atlantischen Ocean im
Frühjahr 1890.
Als Ergänzung der dem Aprilheft der Annalen der Hydrographie bei
gefügten Kartenskizze des Treibeises bei Neufundland geben wir im Nach
stehenden einen Auszug aus den Berichten über Treibeis, welche in den
„Pilot Charts“ der Vereinigten Staaten für Januar bis April d. J. enthalten
sind, sowie einige, aus einem Artikel des „Nautical Magazine“ pro April
entnommene Mittheilungen, welche denselben Gegenstand betreffen. Bereits
im Laufe des Januar scheint bei den grofsen Bänken von Neufundland mehr
Eis eingetroffen zu sein als in frühem Jahren während desselben Monats,
denn die diesjährigen Veröffentlichungen des hydrographischen Amts der Ver
einigten Staaten bis Ende März enthalten Nachrichten von 122 Schiffen, welche
Eis auf ihrer Reise angetroffen haben. Verschiedene Schiffe haben hierdurch
nicht nur Zeitverlust gehabt, sondern auch Havarien erlitten. Schon im Januar
war wegen der Eismassen, die in 45° N-Br und 48° 30' W-Lg angetroffen wurden,
die Fahrt der transatlantischen Dampfer sehr erschwert und mit Gefahr ver
knüpft. Im Februar waren Eismassen, bestehend aus mächtigen Eisbergen,
Packeis und grofsen Eisfeldern bis 42° 30' N-Br und 49° 30' W-Lg und in der
letzten Hälfte des März bis zum Breitenparallel von 42° 30' N-Br, zwischen den
Meridianen 50° und 56° W-Lg vorgedrungen. Die aufsergewöhnliche südliche
Grenze, bis zu welcher das Eis schon im Januar gelangte, erreicht dasselbe im
Mittel erst zwei Monate später. Seit dem ersten diesjährigen Erscheinen des
Eises — schon am 5. Januar wurden in 47° N-Br und45° W-Lg Eisberge gesehen und
16 Tage später in 44° N-Br und 41° W-Lg solche passirt — hat dasselbe bis
Ende März seine Grenze in südwestlicher Richtung bis ungefähr 41° 30'N-Br
und 51° 30' W-Lg ausgedehnt. Schiffe, welche die transatlantische Dampferrouto
benutzen, sollten sich daher zwischen den Meridianen 48° und 53° W-Lg südlich
von 40° 30'N-Br halten und, falls sie von Nebel betroffen werden, stoppen oder
langsam südwärts dampfen.
In welcher Masse das Eis bis zur Dampferroute und weiter südwärts
vorgedrungen ist, ersieht man aus den nachstehenden Schiffsnachrichten, welche
den „Pilot-Charts“ entnommen sind.
Das Dampfschiff „Atnsterdam“ passirte einen ca 150 m langen, sehr hohen
Eisberg sowie neun kleinere. Die „Dania“ dampfte durch viel Treibeis und
passirte auf ihrer Reise fünfzig Eisberge. Der deutsche Dampfer „Cremon“ be
fand sich während 36 Stunden im Eise. Der englische Dampfer „ Washington
City“ war zwei Tage lang von Eismassen umgeben und hatte am Buge so
schwere Beschädigungen, dafs sich eius seiner vorderen Compartments mit
Wasser füllte. Die englischen Dampfer „Nessmore“ und „Miranda“ hatten eben
falls nicht unerhebliche Havarien infolge des Zusammenstofses mit Eis. Der
Dampfer „ Tower Ilill u wurde am 4. Februar zwölf Stunden durch Eis auf
gehalten, uud an demselben Tage traf der Dampfer „Pensylvania“ in 43° N-Br
auf so grofse Eismassen, dafs er sich genöthigt sah, nach Süden abzuhalten, um
freieres Wasser aufzusuchen. Der englische Dampfer „Mareca“ war fast vier
Tage vom Eise eingeschlossen und erlitt Beschädigungen am Buge. Von dem
selben Schiffe aus wurde ein kleiner Fischerschoner gesehen, welcher fest im
Eise lag, vom Dampfer aus aber nicht erreicht werden konnte. Zu derselben Zeit
waren etwa zwanzig grofse Eisberge in Sicht. Die englische Bark „Meteor“
war neun Tage vom Eise eingeschlossen und so beschädigt, dafs sie von
der Bemannung, welche der Dampfer „Marengo“ aufnahm, verlassen werden
mufste.
Selten werden frühzeitig so grofse Eismassen auf so niedrigen Breiten
angetroffen, wie in diesem Jahre. Einige Fälle aus früheren Jahren, welche im
Aprilheft des „Nautical Magazine“ angeführt werden, mögen hier Erwähnung
finden. Im Januar 1874 traf das Schiff „Flemish Cap“, welches eine sehr
südliche Route eingeschlagen hatte, auf ein Eisfeld, das sich, so weit man vom
Topp bei klarem Wetter sehen konnte, nach Nord und Süd erstreckte. Im
Frühjahr desselben Jahres trieb ein von Eis umschlossenos Schiff 27 Sm süd