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Vierteljahrs-Wetter-Rundschau der Deutschen Seewarte.
viel ausgeprägtere Druckvertheilung, als jene des September 1883. Sowohl das
Maximum bei den Azoren, als insbesondere das Minimum SW von Island sind
weit stärker, und zwar stärker als normal, entwickelt. Jm Norden ist die
Luftdruckvertheilung im September 1884 diejenige, wie sie etwa einem Dezember
zukommt; zwischen Ostsee und Schwarzem Meer ist aber der mittlere Luftdruck
höher, als irgend einem Monat normal zukommt. Südliche Luftströmung und
hohe Temperatur waren dementsprechend in der Nordwesthälfte Europas vor-
herrschend. Im September 1883 lag der höchste Druck nicht in West-, sondern
in Ost-Russland, und war Centraleuropa in obiger Weise begünstigt, der NW-
Rand des Erdtheils aber nicht wärmer als normal. Aehnlich hatten es diesmal
die inneren und nordöstlichen Vereinigten Staaten, während sie 1883, bei
höherem Luftdruck im Inneren, kaltes Wetter hatten.
Viel mehr Uebereinstimmung zeigt sich zwischen den beiden Jahrgängen
im Oktober; in beiden Monaten zeigte die Druckvertheilung die normalen
Züge, jedoch in verstärkter Ausbildung. Das Minimum bei Island war 1884
etwas schwächer entwickelt, als 1883, wodurch jenes über dem Europäischen
Eismeere an Bedeutung gewann. Das Maximum im Aralo-Kaspischen Becken
war 1884 bedeutend stärker. Infolge dieser Druckvertheilung hatten Nord-
europa sowohl als das Innere von Russland eine Monatstemperatur erheblich
über dem Normalwerth, während Centraleuropa, und besonders das südöstliche
Alpenvorland, zu kalt war. In Amerika waren das Innere und auch die Golf-
staaten zu warm, die Pacifische Küste und Neu-England ungefähr normal.
Das Zurücktreten des centralen isländischen Minimums gegen die beiden
Seitenlappen auf der Davisstraßse und dem Europäischen KEismeere, das sich
schon im Oktober 1884 zeigte, war scheinbar noch mehr ausgeprägt im November,
sowohl im Vergleich zum Normalzustande, als zu jenem von 1883. Dieser
Druckvertheilung entspricht in der kälteren Jahreszeit in Europa, namentlich
in Nordeuropa, warmes Wetter. Die Mitteltemperatur des November 1884 war
aber nicht nur in Centraleuropa, sondern auch in Schweden und Südwest-
Russland erheblich unter der normalen, und nur in Nordskandinavien sowie im
Nordosten des europäischen Russlands finden wir starke positive Abweichungen.
Aber die mittlere Druckvertheilung, welche uns die Isobarenkarte des November
vorspiegelt, kam nur in der ersten Dekade desselben vor; sie ist im Uebrigen
ein Produkt der Uebereinanderlagerung der fast entgegengesetzten Verhältnisse
der ersten und der zweiten Hälfte dieses Monats. Die erste Dekade, wo das
Maximum theils in Centralrussland, theils über den Alpen lag, war allerdings
in Deutschland und Skandinavien ziemlich warm; allein die darauffolgenden
Tage, wo es sich nach dem Ostseegebiete verlegte, brachten beiden Ländern
zunächst Strahlungskälte und z. Th. auch Zufuhr kalter Luft aus Osten, dann
aber, als sich das auf Karte VIII dargestellte Regime einstellte, eine Ab-
sperrung vom warmen Ocean und eine Ueberfluthung mit nordischer Luft, welche
im Verein mit einer durch Schneefälle und nächtliches Aufklaren beförderten
Ausstrahlung die Temperatur dieses Zeitraumes so niedrig hielten, dafs auch
das Monatsmittel bedeutend zu niedrig ausfällt. Es ist dieser Fall ein sehr
instruktiver, um zur Vorsicht zu mahnen bei der Verwendung monatlicher oder
sonstiger Mittelwerthe in wissenschaftlichen Untersuchungen. So wichtig dieses
Hülfsmittel zur Vereinfachung der komplicirten Probleme der Meteorologie ist,
so darf man nie vergessen, dafs die Mittelwerthe mehr oder weniger Kunst-
produkte sind, und dafs diejenigen der verschiedenen Elemente nicht strenge mit
einander sich verknüpfen lassen wegen des verschiedenen Einflusses, den die
einzelnen Zeitmomente bei den verschiedenen Elementen auf das Mittel haben.
So z.B. ist, weil in dem Einfluß auf das Mittel die letzten beiden Dekaden des
November bei der Temperatur sich unterstützen, bei der Druckvertheilung
sich aufheben, im Monatsmittel die erstere vorwiegend bestimmt von diesen zwei
Dekaden, die letztere von der ersten Dekade; Druckvertheilung und Temperatur,
wie sie das Monatsmittel des November uns vorführt, gehören also zeitlich und
ursächlich gar nicht zusammen, der Versuch ihrer kausalen Verknüpfung auf
Grund physikalischer Gesetze würde also durchaus irreführend sein. Natürlich
liegen die Verhältnisse nur selten so ungünstig, wie in diesem Falle; allein es
ist gut, sich ihrer bewufst zu werden, da dieselben Fehler in geringerem Grade
jedem Mittel anhaften.