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Ueber Erdmagnetismus,
auf 60 m). Diese Verlangsamung kann wohl nur durch den abkühlenden Einflufs
des Seewassers erklärt werden, Man darf daher annehmen, dal die Iso-
geothermen beim Verlassen der Kontinente sich unter dem Meere plötzlich
senken und beim Wiedereintritt in die Erdschichten unterhalb der Kontinente
sich wieder heben und dafs erst in einer bestimmten Tiefe diese Linien sich
der Kreisform nähern. Derartige Niveau-Differenzen rufen aber einen elektrischen
Strom hervor, wie Matteucci') nachgewiesen. Nur in dem asiatischen Kälte-
pole finden wir ein thermisches Gefälle von auznähernd gleicher Ordnung,
zugleich aber auch eine entsprechende Störung im Verlaufe der magnetischen
Kurven. Der Uebergang vom Festlande zum Meere und umgekehrt mufs also
mit Verschiebungen der Kurven verknüpft sein. Dies zeigt auch die Beobachtung;
jede Insel bildet ein kleines Störungscentrum,
Die in gröfseren Tiefen der Erdkruste bestehenden elektrischen Ströme
werden im Allgemeinen eine gröfsere Konstanz hinsichtlich der Intensität und
Richtung besitzen, als die näher an der Erdoberfläche cirkulirenden schwächeren
galvanischen Ströme, die die ersteren überlagern. Die tieferen Krdströme
werden nur Störungen erleiden, wenn plötzliche und gewaltsame Veränderungen
innerhalb der Erdrinde vor sich gehen, also vorzugsweise bei Erdbeben und
vulkanischen Ausbrüchen. Kreil hat viele Fälle zusammengestellt, wo magne-
tische Störungen mit Erdbeben zusammenfielen, und hält den .Zusammenhang
beider Erscheinungen für sehr wahrscheinlich.*‘) So beobachtete Lamont am
18, April 1842, 10% 9” a. m., als er zufällig beim Deklinations-Instrument nach-
3ah, dafs die Nadel plötzlich einen derartigen Stofs erhielt, dafs die Skala
vollständig aus dem Gesichtsfelde des Fernrohrs hinausfuhr; nach den einige
Zeit dauernden Schwingungen stellte sich die gewöhnliche Ruhe wieder her.
Dieselben heftigen Bewegungen der Nadel hatte auch Colla in Parma in dem-
selben Augenblicke beobachtet. Es hatte aber in derselben Minute, wo die
heftige Bewegung der Nadel in München und Parma hemerkt worden war, im
Griechenland ein heftiges Erdbeben stattgefunden. Kinen zweiten äbnlichen
Fall theilt Lamont in „Poggendorffs Annalen“*®) mit. Am 26. Dezember 1861,
8h a, m., zeichnete er den Stand der magnetischen Instrumente auf und bemerkte
an sämmtlichen Instrumenten (je zwei für Deklination, Inklination und horizon-
tale Intensität) eine auffallende Unruhe, und die schnellen Aenderungen dauerten,
allmählich an Heftigkeit zunehmend, bis gegen 8%* a. m. fort. Einige Tage
später traf die Nachricht ein, dafs genau gleichzeitig mit obiger Beobachtung
ein heftiges Erdbeben an verschiedenen Punkten Griechenlands grofse Ver-
wüstungen angerichtet hatte.
Hieraus geht hervor, dafs die Kräfte, welche ein Erdbeben erzeugen, den
Erdmagnetismus in hohem Grade beeinflussen. Die Erdströme werden momentan
anterbrochen, dann wieder verstärkt als wahrscheinliche Folge der plötzlichen
Entwicklung grofser Mengen von Gasen und positiv elektrischen Wasserdampfes,
die zugleich die Ursache der Erderschütterung bilden. P. Serpieri hat diesen
Gedanken in der „Revista scientifica“ (1874 pag. 165) weiter entwickelt und
dort auf die schon oben citirte Beobachtung Ragona’s über die bei Erdbeben
von der Erde nach der Atmosphäre gerichteten elektrischen Ströme hingewiesen.
Magnetische Störungen treten an allen Punkten der Erdoberfläche gleich-
zeitig ein; da die Stellung der Magnetnadel in jedem Momente als die Wirkung
der magnetischen Gesammtkraft der Erde zu betrachten ist, so muß jede Ver-
i) Comptes rendus, Tome LIX pag. 511—516. Matteucci stellte Versuche an mit vier
verschiedenen Linien von 600—2600 m Länge und Höhen-Differenzen von 83—642 m. Diese Ver-
zuche führten stets zu übereinstimmenden Resultaten, dahin gehend, dafs jede Drahtleitung, welche
an einer tieferen und höheren Stelle mit dem Erdboden verbunden ist, einen ziemlich eonstanten
Strom anzeigt, der von der tieferen zu der höheren Station flie[/st; die längere Leitung
and die gröfsere Höhen-Differenz erzeugen auch einen stärkeren Strom. Nasses Wetter verstärkt
diesen Strom. Diese Ströme können nicht zu den sogenannten Zweigströmen gehören, wegen der
angleich viel gröfseren Leitungsfähigkeit des Erdkörpers im Vergleich zu derjenigen der Drähte.
Dann mufs aber die zwischen den Zinkplatten eingeschaltete Erdschicht selbst als elektromotorisch
wirksam angesehen werden und zwar umsomehr, als die Intensität mit der Länge der ein-
geschalteten Erdstrecke wächst.
% Lamont, Astronomie und Erdmagnetismus, pag. 277.
3) Poggendorffs Annalen, Bd. CXV, pag. 176. Dieser Fall beweist, dafs die allmählich an
Heftigkeit zunehmenden Bewegungen der Nadeln nicht blofs auf Erschütterungen des Bodens
beruhen d. h. rein mechanischer Natur sind, sondern Folge der Erdstromschwankungen.