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Veber Erdmagnetismus.
Halbkugel. Dementsprechend verlief auch dort in den Jahren 1700 und 1800
die Nullisogone annähernd in derselben Richtung wie heute. Aus einer von
C. Schott 1875 veröffentlichten Uebersicht der Veränderungen der Deklination
in Nordamerika !) geht hervor, dafs in Boston, New- York und New-Orleans ein
Wechsel zwischen östlicher und westlicher Deklination weder stattgefunden hat,
noch wahrscheinlich stattfinden wird. Die westliche Deklination hatte an den
beiden ersten Orten ein Minimum gegen Ende des 18. Jahrhunderts, zu der-
selben Zeit, wo in Europa ein westliches Maximum stattfand. Anders verhält
88 sich mit demjenigen Theile der Nullisogone, der durch die östliche Erdhälfte
geht. Dieselbe ist nicht so stationär geblieben. Nach Humboldt soll dieselbe
1716 durch Tobolsk gegangen sein; heute liegt dieselbe in der Nähe von Moskau,
ist also in 150 Jahren um ca 30° nach West gerückt. Diese Verschiebung
erscheint aber viel auffälliger, als sie in der That ist. Da in Russland sowohl
als in ganz Asien die Abweichung nur sehr kleine Werthe hat, so genügen
schon kleine Aenderungen in der Richtung und Intensität der Erdströme, um
diese Schwankung in der Lage der Nullisogone zu erklären. Viel auffälliger
ist der Umstand, dafs im nordöstlichen Sibirien und China die Deklination auf
einem elliptisch geformten grofsen Gebiete westlich ist, während sie rund um
dieses Gebiet östlich ist, und dafs ferner die Nullisogone nach einem fast
streng nordsüdlichen Verlauf an der Grenze von Europa und Asien sich in
Persien nach SE wendet und auf 80° O-Lg von Greenwich in der Nähe des
Aequators in scharfem Bogen eine fast rein östliche Richtung einschlägt, um
endlich in der Nähe der nordaustralischen Küste in ebenfalls scharfem Bogen
fast rein südlich fortzuschreiten. Beide Erscheinungen lassen sich von unserem
Standpunkte in folgender Weise erklären. Das elliptische Gebiet mit westlicher
Abweichung fällt annähernd mit dem asiatischen Kältepole zusammen; es liegt
etwas südöstlich von demselben, was aber dadurch erklärlich wird, dafs das
Ochotskische Meer ebenfalls ein Kältegebiet bildet, indem schon in 60 Faden Tiefe
die Temperatur des Wassers dort — 1,8° C. beträgt.
Der Boden des asiatischen Kältegebiets bleibt einige Fufs unterhalb der
Erdoberfläche beständig gefroren bis zu einer Tiefe, die 600—700 Fufs beträgt.
Wir haben es hier mit einem unterirdischen Eisboden zu thun, der sich
über ein grofses Gebiet bis weit ins Meer nach Osten hin erstreckt. Zwischen
130° und 140° O-Lg von Ferro fällt die südliche Grenze dieses Eisbodens mit
50° N-Br zusammen. Dieses Gebiet beständigen unterirdischen Eises mufs
aber eine beständige und bedeutende Veränderung in der Richtung und Stärke
der elektrischen Ströme hervorrufen, die sowohl in und unter demselben als
um dasselbe kreisen. Wir haben schon gesehen, dafs überall in der Erdrinde
strömende Bewegungen vorhanden sind, und dafs diese strömenden Bewegungen
von elektrischen Strömen begleitet sind. Diese Bewegungen werden innerhalb
des gefrorenen Bodens weniger stattfinden können, wohl aber unter demselben
and um denselben. Dadurch mufs der gewöhnliche Verlauf der elektrischen
Ströme aber eine Störung erleiden, in ganz ähnlicher Weise wie bei Vulkanen
and vulkanischen Inseln durch abnorme Wärme in der Nähe der Erdoberfläche,
welche den normalen Verlauf der Isogeothermen stört, auch eine Störung in
dem Verlauf der magnetischen Kurven hervorgerufen wird. Es braucht hier
nur auf die oben erwähnten derartigen Störungen am Aetna, auf Island, Neu-
Seeland, Keweenaw-Halbinsel etc. hingewiesen zu werden. Auf letzterer Halb-
insel tritt ja auch eine beträchtliche Abweichung infolge unterirdischer Ab-
kühlung auf.
Hätte der Amerikanische Kältepol durch die frühere Entwicklung dieses
Kontinents nicht einen Vorsprung gewonnen, der ihn befähigt, den magnetischen
Pol so zu sagen festzuhalten, so würde sich dieser auf dem asiatischen Kältepol
entwickelt haben. Da aber nur ein Hauptmagnetpol auf der nördlichen Hemisphäre
möglich ist, so kann der asiatische Kältepol nur eine sekundäre Rolle spielen.
Dies thut er aber auch. Am Kap Tscheljuskin beträgt z. B. die Deklinations-
abweichung 106°; die Isogone von 15° östlicher Abweichung bildet zwischen
Ob und Jenisset einen grofsen, halbkreisförmigen Bogen, dessen convexe Seite
i) Siehe A. Oberbeck, Ueber die zeitliche Veränderung des Erdmagnetismus, Leopoldina
XVII. No. 13—14.