Ann. d. Hydr. ete., XV. Jahrg. (1887), Heft XI.
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Ueber Erdmagnetismus.
Von Dr. P. Andries,
Die beständige Unruhe in dem magnetischen Zustande unserer Erde steht
in einem merkwürdigen Gegensatz zu der Stabilität, welche die sonstigen. physi-
schen Verhältnisse derselben charakterisirt. Die Gestaltung ihrer Oberfläche,
die Wärmevertheilung auf derselben, die Windsysteme, die Meeresströmungen,
die Flutherscheinungen ete. haben seit Jahrtausenden keine wesentlichen Ver-
änderungen erlitten. Ganz anders aber verhält es sich mit den magnetischen
Erscheinungen. Von Jahr zu Jahr ändern sich mehr oder weniger stetig die
sämmtlichen drei Komponenten der erdmagnetischen Kraft, und ein Jahrhundert
genügt, um die Form und Lage der Linien umzugestalten, die man zum Zwecke
der allgemeinen Darstellung der Richtung und Intensität der magnetischen Kräfte
für einen bestimmten Zeitpunkt auf der Erdoberfläche gezogen hat. Die Art
des Fortschreitens dieser Aenderungen, der Zeit und dem Orte nach, scheint
völlig gesetzlos zu sein, und es ist unmöglich, den Gang derselben zu er-
mitteln, so lange die Entstehung des Erdmagnetismus und die Ursachen seiner
Schwankungen in Dunkel gehüllt sind.
Nach den Gauss’schen Untersuchungen unterliegt es keinem Zweifel
mehr, dafs wir den Sitz der magnetischen Kräfte, wenn nicht gauz, so doch
dem Haupttheile nach unter der Erdoberfläche zu.suchen haben. Damit ist
jedoch keineswegs ausgeschlossen, dafs von Aufsen wirkende elektrische und
magnetische Kräfte, wie z. B. das Polarlicht, die erdmagnetischen Kräfte be-
einflussen können. Es ist bekannt, dafs die Annahme galvanischer, von Ost
nach West gerichteter elektrischer Ströme innerhalb der Erdkruste genügt,
um die allgemeinen Erscheinungen des Erdmagnetisamus zu erklären. Bei der
folgenden Untersuchung wird von galvanischen und thermoelektrischen KErd-
strömen als Hauptursache der magnetischen Erscheinungen ausgegangen,
Zunächst soll eine Reihe von Thatsachen mitgetheilt werden, welche das
Vorhandensein elektrischer Ströme innerhalb der Erde und ihren Zusammenhang‘
mit dem magnetischen Zustande der Erde beweisen.
Dafs schon in verhältnifsmäßlsig geringen Tiefen der Erdkruste starke
Erdströme. vorhanden sein müssen, geht aus folgender merkwürdigen Beobachtung
hervor, die beim Bohren eines tiefen Artesischen Brunnens in Frankreich ge-
macht wurde.!) Die Sonde wurde während ihrer Arbeit stark magnetisirt und
ihre einzelnen Glieder bildeten nach der Arbeit ebenso viele KEinzelmagnete
mit je zwei Polen. Bei dem schwachen Gesteinsmagnetismus kann diese Er-
scheinung kaum anders als durch die Annahme kräftiger galvanischer Ströme
in jener Tiefe von etwa 1000m erklärt werden. Diese Annahme wird gestützt
durch eine Beobachtung über die negative Elektrieität einer Thermalquelle zu
Baden in der Schweiz.”) Das dem Boden entsteigende Thermalwasser erwies
sich stark negativ elektrisirt. Die bei der Prüfung des elektrischen Zu-
standes angewandte Methode läfst nur die Annahme zu, dafs dasselbe schon in
der Tiefe elektrisirt war. Auch die interessanten Beobachtungen von Professor
D. Ragona®) in Modena bei Gelegenheit des Erdbebens vom 25. Juni 1859
und einiger späteren beweisen das Vorhandensein starker Erdströme, Dieser
Gelehrte bemerkte nämlich an seinem sehr empfindlichen Galvanometer, dessen
0: S. Comptes rendus T. LXXIM, pag, 910.
?) Naturforscher VIIL 1875, pag. 127.
3 Revista scientifica 1874, pag. 165.