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Schlulsergebnifs,
III. Schlußergebnifs.
Falst man die Ergebnisse der in Erwägung gezogenen Beobachtungen
zusammen, 80 scheinen dieselben dazu angethan, für die physikalischen Verhält-
nisse der Nordsee eine gröfsere Selbstständigkeit in Anspruch zu nehmen, als
denselben bisher zuerkannt worden ist. Das oceanische Wasser, welches im
Norden von England eindringt, sperrt danach wahrscheinlich das Nordseebecken
gegen polare Ströme mehr oder weniger ab; es dringt atlantisch-oceanisches,
stark salziges Wasser äusserst langsam vorschreitend, fast unvermischt bis in
den centralen Theil der Nordsee, und sinkt in Folge der winterlichen Abkühlung
allmählich zu Boden, die erlangte niedrige Temperatur einerseits bis zur Dogger-
Bank, andererseits in die tiefe Norwegische Rinne mitführend und dort auch
im Sommer konservirend; das atlantische Wasser mischt sich namentlich in den
oberen Schichten und längs der Küsten ınit dem süßeren Wasser des Ab-
wässerungsgebietes der Küstenländer des Nordseegebietes bezw. mit dem Ost-
seewasser, und wird mit demselben in zwei Hauptströmen nordwärts geführt,
von denen der eine vornehmlich längs der Britischen Küste und dann nach
Nordost, der andere längs der Deutschen und Jütischen Küste, bald sich mit
dem Ostseestrom vereinigend, seinen Weg nimmt. Beide Ausflulsströmungen
scheinen. zwischen ungefähr 3° Ost-Länge und der Norwegischen Küste zusammen-
zutreffen, und wird hier das angesüßte Üceannwasser, nachdem es im Becken
der Nordsee einen theils vertikalen, theils horizontalen Kreislauf vollzogen, in
das Norwegische Nordmeer abgeführt, Zwischen diesen beiden Strömen besteht
aber ein Unterschied darin, dafs der Norwegische Küstenstrom in weit höherem
Grade seinc charakteristischen Eigenschaften beibehält, als der Englisch-Schot-
tische, und während letzterer zunächst wenigstens fast in seiner ganzen "Tiefe
emischtes Wasser aufweist, besitzt in der Norwegischen Rinne Unterstrom und
Oberstrom ganz verschiedenen Charakter und erst in einer Zwischenschicht
vollzieht sich die Mischung, deren Bewegung mit der des oberen Stromes
harmonirt.
Der Grund für diese Besonderheiten ist zu einem grofsen Theil in den
lokalen Formationsverhältnissen des Nordseebeckens zu suchen, welche eine
Mischung der nach den physikalischen Schweregesetzen sich bewegenden Wasser-
massen von verschiedenen Eigenschaften an der Britischen Küste ebenso be-
günstigen, wie sie an der Norwegischen Küste derselben entgegen sind.
Die Gezeitenerscheinungen sind erklärt als zum grofsen Theil von einer
Welle abhängig, welche der Konfiguration des Nordsecbeckens allein ihre Eigen-
schaften verdankt, während für die Einwirkung des Englischen Kanals sich
keine entscheidenden Merkmale aufünden lassen.
Das hier gezeichnete Bild kann nicht beanspruchen, als ein endgültiges
aufzutreten, weil das Beobachtungsmaterial für sichere Schlüsse noch nicht
zureicht, Die Tafeln lassen leicht erkennen. wo noch fühlbare Lücken in der
Beobachtungsreihe der Sommermonate vorhanden sind. Es ist dies einmal der
zsüdwestliche Theil der Nordsee, also das Verbindungsglied zwischen ihr und
dem atlantischen Ocean auf dem Wege des Englischen Kanals, sodann der
nördliche Theil zwischen den Orkneys und der Norwegischen Küste und zwischen
der Schottischen Küste, etwa boi Aberdeen oder Peterhead, und der tiefon
Rinne, ungefähr auf dem Breitenparallel von 57'%°* Nord. Solche Sommer-
antersuchungen in Verbindung mit Winterbeobachtungen an einer Anzahl von
Stellen, die über das Nordseegebiet vertheilt sind, würden unsere Kenntnis
von den physischen Verhältnissen der Nordsee und von den modificirenden
Einflüssen, welche die Jahreszeiten auf die physikalischen Vorgänge innerhalb
dieses Beckens ausüben, einem Abschlufßs entgegyenführen.