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Orkan vom 14. Mai in Crossen und Umgebung.
die Situation sich wesentlich änderte und an der Westküste Europas eine
Depression erschien. In den folgenden Tagen schritt diese, in unregelmäfsiger
Gestaltung und zum Theil unter Ausbildung mehrerer Centren niedersten Druckes,
über den Kanal nach der Nordsee, auf ihrer rechten Seite über den Britischen
Inseln starke nördliche bis östliche Winde mit Regengüssen und, besonders in
Mittelenglaud, aufserordentlich kühlem Wetter hervorrufend, Die Temperatur
war daselbst 3—4° C unter der normalen, am 12. erreichte selbst das Maximum
zum Theil nur 4° C; im südlichen Schottland fiel in den Bergen Schnee, und
kamen die Schwalben zu Tausenden um, Die Regenmenge in den drei Tagen
rom 11. bis 13, betrug im Gebiete des Severn an vielen Orten über 100 mm,
and dort wie in ganz Centralengland waren ungeheure Ueberschwemmungen
die Folge.
So viel sich bis jetzt übersehen läfst, bildete sich au der Südseite dieser
Depression in Spanien am 12. ein Theilminimum aus, in dessen Gefolge ein
Orkan bei Madrid auftrat, und zog dieses Theilminimum über den Golf von
Lyon nach Oberitalien, wo es am 14, gleichfalls von lokalen Gewitterstürmen
begleitet war und am 15. sich allmählich ausglich.
Auch an der Ostseite der grofsen Depression, im Innern von Deutsch-
Jand, bildete sich schon am 12. Mai während der wärmeren Tagesstunden ein
Aaches Theilminimum aus, das aber bis zur Nacht sich bereits wieder ausglich,
ohne, so viel bekannt, von Gewittern begleitet gewesen zu sein,
Der 13, Mai war in Deutschland ein trüber, regnerischer, mäßig warmer
Tag mit vorwaltender schwacher bis mälsiger (nur in Borkum stürmischer} öst-
licher und südlicher Luftströmung; nur im äufsersten Nordosten des Landes
herrschte heiteres Wetter. In der Nacht darauf fand aber auch an der Weichsel-
mündung wie in vielen anderen Gegenden Deutschlands Gewitter und Regen statt.
Am Morgen des 14. Mai herrschte in einem langen Streifen von Cette
über die Schweiz und Elsaß bis Berlin und Hamburg sowie weiter nördlich
von Kopenhagen bis Skudesnes Regen, in Böhmen, Schlesien und Hinterpommern
hingegen heiteres Wetter, Dadurch, dafs die Temperatur im Dreieck Perpignan—
Calais— München (und in Bamberg) seit dem Vortage um 3 bis 6° gesunken,
im Raume Wien—Swinemünde— Petersburg— Hermannstadt (und auch in Berlin)
hingegen um 1 bis 8° gestiegen war (in Neufahrwasser um 7,7°}, hatte sich
sine Temperaturvertheilung ausgebildet, welche jener am Morgen vor dem
Gewittersturm am 9, August 1881 (s. diese „Annalen“ 1882, Taf, 21) ziemlich
ähnlich war — an welchem Tage bekanntlich ebenfalls eine auf der Nordsee
befindliche Depression ein Theilminimum (resp. eine Rinne) in Deutschland ent-
wickelte. Die Temperatur nahm nämlich von Ostdeutschland südwestwärts, der
allgemeinen südwestlichen Luftströmung, welche in einiger Höhe über dem
Meeresspiegel herrschen mulste, entgegen, ziemlich rasch ab, um 8a. m, von
17° in Breslau, Gründerg, Rügenwaldermünde und Neufahrwasser, bias 9° in
Altkirch und Kaiserslautern und nur 7° in Clermont (hier übrigens eine Stunde
früher gemessen),
N Onter diesen erfahrungsgemäfs für die Bildung von Gewittern sehr
günstigen Umständen fanden schon am Morgen des 14. in Centraldeutschland
leichte Gewitter statt; Nachrichten liegen uns vor ans Bamberg (7 40° a. m.),
Berlin, Frankfurt a. 0. (1l*a.m.) und Beutnitz (zwischen 10* und 11%), am
letzteren Orte wurde dabei starker Westwind beobachtet, in Frankfurt kurzer,
a Regen.
er Nachmittag brachte alsdann das grofse Gewitter an der Rückseite
des Theilminimums in Ostdeutschland; dieses Gewitter war in bedeutender Aus-
dehnung — mindestens auf dem Raume zwischen Görlitz und Küstrin — von
Sturm und Hagelschlag begleitet (von letzterem anscheinend mit freibleibenden
Lücken dazwischen), aber nur an einer 1—2 km breiten Stelle von verheerendem
Orkan, welcher auf seiner Bahn auf einer Strecke von 32km Verwüstungen
ron theilweise ganz ungeheuren Dimensionen anrichtete. Eine Uebersicht über
die Ausdehnung und die Fortpflauzung dieses Gewitters wird sich erst unter
Benutzung der Gewitterstationen des Königreicha und der Provinz Sachsen
sowie der Preufsischen Beobachtungs-Stationen nach den Originalen bilden lassen.
So viel ich durch Erkundigungen auf der Hin- und Rückreise feststellen konnte,
scheint es erst an der Sächsischen Grenze entstanden zu sein, da sowohl in