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Beiträge zur Hydrographie des Sibirischen Eismeeres,
Laufe von zwei Monaten war der gröfste Theil der Eismassen, welche Ende
des Winters zwischen der „Dümphna“ und dem Lande gelagert hatten, zerstört;
im August war alles Eis um das Schiff herum aufgebrochen.
In einem Abstand von ca 20 Sm von der Waigatsch-Insel wurde die
Bewegung des Eises unregelmäfeiger und entsprach weniger als sonst der
Richtung des Windes; vielmehr schien hier die Haupttrift der Karischen Pforte
zuzustreben; bald hatte das von Norden kommende Eis die Oberhand und schob
den südlicher liegenden Theil zur Seite oder zurück, bald fand das Gegentheil
atatt. Diese Bewegung findet nach Ansicht des Lieutenant Hovgaard ihre
Erklärung in der durch die beständigen Nordostwinde erzeugten Niveau-Erhöhung
des Wassers im südlichen Theile des Karischen Meeres. Die schmalen Meer-
engen können das Wasser nicht so schnell abführen, als es ihnen durch die
breite Oeffnung im Nordosten zugeführt wird. Indem das Wasser nun durch
lie Meerengen strömt, tritt ihm von innen eine saugende Bewegung entgegen,
woraus die unregelmäfsigen Bewegungen des Eises folgen. Auf dieselbe Ur-
sache wird auch der häufig an der Waigatsch-Küste beobachtete Oststrom
zurückgeführt. Während das Wasser, welches direkt von Norden kommt,
einen Ausflufs durch die Pforte sucht, zieht es auch Wasser von der ge-
schlossenen Kara-Bucht weg, so dafs hier ein niedriger Wasserstand entsteht.
Dieser Unterschied mufs wieder ausgeglichen werden, und dies erklärt den in
das Karische Meer setzenden östlichen Strom der Jugor-Strafse und den gleich-
gerichteten längs der Waigatech-Insel, wo, wie eben erwähnt, ein höherer
Wasserstand herrscht. Aehnliche Verhältnisse finden sich an der Südküste von
Nowaja Semlja; der durch die Karische Pforte setzende Strom zieht das Wasser
aus den Sunden der Insel nach sich, die dadurch hervorgerufene Erniedrigung
des Wasserstandes wird durch einen längs der Küste zurückkehrenden Strom
ausgeglichen.
Unter den angeführten Verhältnissen eignet sich bei Nordostwinden, welche
die Wassermassen durch die Karische Pforte aus dem Karischen Meere treiben,
während gewöhnlich gleichzeitig durch die Jugor-Strafse ein entgegengesetzter
Strom läuft, die letztere am besten zur Einfahrt. Bei unbeständigem Winde
kann man dagegen ebenso gut die Pforte benutzen, da das von den Nordost-
winden angehäufte Wasser zurückströmt und das Eis mitnimmt, wenn die Kraft,
die es südwärts treibt, aufhört zu wirken. Die Jugor-Passage bietet aber unter
allen Umständen den Vortheil, wenn das Meer innerhalb der Strafsen von Eis
besetzt ist, dafs man, sich nach Osten wendend, einen schmaleren und sich
leichter vertheilenden Eisgürtel zu durchbrechen hat, als von der Karischen
Pforte aus.
Ebenso wenig wie der Karischen See durch die schmalen Zugänge im
Südwesten Eismassen zugeführt werden, ist dies von Nordosten her der Fall,
obgleich man geneigt sein dürfte, wegen der hier offenen Verbindung mit dem
nördlichen eisreichen Meere und der hier ausmündenden mächtigen Flüsse, dies
anzunehmen. Die letzteren brechen aber erst zu einer Zeit auf, wenn das
Karische Meer noch fast ganz mit Eis bedeckt ist, so dafs neue von den Strömen
mitgeführte Eismassen in demselben keinen Platz mehr finden, sondern nord wärts
vorbeitreibend zwischen Nowaja Semlja und Franz Joseph Land gesetzt werden.
Das sibirische Treibholz, welches man an der Nordwestküste von Nowaja Semlja
and bei Spitzbergen trifft, verdankt diesem Umstande seinen Ursprung. Erst
später im Sommer, wenn die Gewässer der Flüsse kein Eis mehr haben, gelangt
auch ein Theil derselben in das Karische Meer, dessen Eismassen sich nun schon
weiter nach Südwesten gezogen haben; dies warme Wasser unterstützt dann
das Schmelzen des Eises am östlichen Rande, die Trift desselben nach Südwesten
und die Erhöhung des Wasserstandes in diesem Theile des Meeres. Der vom
Ob mitgeführte Schlamm lagert vor das Karische Meer eine Bank, welche, den
ganzen Sommer hindurch von einem ziemlich schnellen Strom überfluthet,
gewissermafsen eine Schranke gegen den nördlichen Theil des Eismeeres bildet.
Auch die niedrige konstante Wassertemperatur im Karischen Meere, wie sie das
ganze Jahr hindurch in geringer Entfernung von der Oberfläche bis zum Grunde
zu —21/° C. gefunden wurde, deutet darauf hin, dafs kein warmes Flufswasser
in dasselbe hinein gelangt.