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Die harmonische Analyse der Gezeitenbeobachtungen.
bringen lassen, wo tgB = 5 und P und Q Funktionen von k, m und m‘ sind.
Hieraus geht hervor, dafs wir auch die freien Gezeitenwellen, welche wir
der Beobachtung unterwerfen, nach denselben Ausdrücken behandeln können,
welche wir oben für die gezwungenen Wellen gefunden haben, indem wir nur
solche Koefficienten hinzufügen, wie sie der gegebene Fall verlangt, und beachten,
dafs x einen andern, gleichfalls von den Umständen des Falles abhängigen
Werth erhält. Es wird dann eine interessante Aufgabe sein, zu untersuchen,
in wie weit die Ergebnisse der theoretischen Untersuchung, von denen die Art.
290) bis (346) der „Tides and waves“ eine reiche Fülle bieten, mit den Re-
sultaten der Beobachtung übereinstimmen. Wir müssen uns hier darauf be-
schränken, auf diese wichtigen und interessanten Untersuchungen hinzuweisen,
Da wir die Beobachtungen der Gezeiten an den Küsten vornehmen, wo
die Tiefe des Wassers in der Regel nicht sehr bedeutend ist, so kann und wird
sehr häufig, wenn nicht regelmäfsig, der Fall eintreten, dafs C= A VP?4-Q?
einen so grofsen Werth erlangt, dafs es einen ziemlich grofsen Bruchtheil der
mittleren Wassertiefe ausmacht. In diesem Falle treten Erscheinungen auf,
welche eine speciellere Erwähnung erfordern.
Erstens wird die Gestalt der Welle eine andere. Während bei der
einfachen Osecillation die Welle ganz symmetrisch ist, so wird sie, sobald ihre
Maximalhöhe über dem mittleren Niveau zu der mittleren Tiefe des Wassers
ein grofses Verhältnifs hat, an der Vorderseite steiler, an der Rückseite flacher,
d. h. das Wasser braucht weniger Zeit zum Steigen als zum Fallen, Wird die
Fluth in einem Flusse beobachtet, und ist das Verhältnifs ihrer Höhe zur Tiefe
ein sehr grofses, so tritt in gewisser Entfernung von der Mündung die Er-
scheinung mehrerer Hochwasser auf, und als extremer Fall, wenn die Umstände
sonst dafür günstig sind, kann eine „Bore“ oder „Fluthbrandung“ entstehen,
d. h. das Wasser stürzt sich bei seinem plötzlichen Steigen brandend über die
den eigentlichen Flufs begrenzenden flachen Sände, während in dem tieferen
Wasser die Fluthwelle in sichtbarer Erhebung, aber ohne zu branden,‘) den
Flufs hinaufrückt.
Bis jetzt ist nur versucht worden, diese Erscheinungen durch successive
Näherungen in einer Reihenentwickelung darzustellen, wobei natürlich extreme
Fälle, in denen, wie bei der Fluthbrandung, das Gesetz der Stetigkeit aufhört,
ausgeschlossen sind. Die Untersuchungen von Airy („Tides and waves“, Art.
192 bis 216 sowie 309) zeigen, dafs man die Höhe der durch den Umstand,
dafs die aus See an die Küste tretende Welle eine im Vergleich zur Wasser-
tiefe hohe ist, beeinflufsten Welle durch einen Ausdruck von der Form:
(39) Ca cos (t —B +ß) + S «‘ cos (2tt — 2B + ß') +5 a cos (3ıt — 3B +8") + +...
darstellen kann. Das erste Glied ist die aus See kommende Welle, welche mit
einem Faktor @ multiplicirt erscheint, welcher von höheren Potenzen der Größe
% und von m‘x abhängt und immer sehr nahe == 1 ist, wie auch der Winkel 8
immer nahe —0 sein wird; «‘, @“...ß', ß'‘.. .sind Funktionen von T und
m‘x, welche sehr verschiedene und unter Umständen recht grofse Werthe haben
können. .
Wir sehen, dafs die Koefficienten der einzelnen Glieder Potenzen des
Verhältnisses des Koefficienten des Hauptgliedes zur Tiefe als Faktoren ent-
halten, ohne dafs wir im Allgemeinen im Stande sein werden, ihr Verhältnifs
zu dem Hauptgliede genauer anzugeben. Immerhin kann diese Wahrnehmung
dazu dienen, alle Glieder auf ein gemeinsames System zurückzuführen, worauf
noch zurückzukommen ist.
N In Lenz „Fluth und Ebbe und die Wirkungen des Windes auf den Meeresspiegel“, S. 41,
wird irrthümlich gesagt, dafs die eindringende Fluthwelle in der ganzen Breite des Flusses brande,
was nicht richtig ist, auch nicht mit der auf dem Hoogly und anderen Flüssen üblichen Praxis, beim
Eintreten der Fluth die Boote in die Mitte des Flusses zu bringen, wu sie aufserhalb der gefährlichen
Brandung sind, übereinstimmt.