Typische Witterungs-Erscheinungen.
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die rein nach Ost gerichtete Zugstrafse II, welche einen von Süd nach Nord
gerichteten Gradienten und eine Temperaturzunahme nach Süd oder Südwest
bedingt, wird in der kälteren Jahreszeit häufiger frequentirt sein, als in der
wärmeren (vgl. Tabelle A), jedoch tritt hier der Gegensatz in der Frequenz
nicht so schroff hervor, wie bei den vorhin genannten Zugstrafßsen. Die nach
Nordost oder Ostnordost gerichteten Zugstrafsen I und IV setzen hohen Luft-
druck im Südosten und zunehmende Temperatur nach Südosten oder Süden hin
voraus, Diese Zugstrafsen sind daher in der wärmeren Jahreszeit am häufigsten
vertreten, sind aber auch (insbesondere Zugstrafse I) in der kälteren Jahreszeit
nicht selten, eine Thatsache, deren Erklärung hauptsächlich wohl in der be-
deutend gröfseren Luftdruckdifferenz in der kälteren Jahreszeit zwischen Nord-
west und Südost zu suchen ist. Ferner weisen unsere Luftdruckkarten nach,
dafs die auf den Bahnenkarten, die der „Monatliche Uebersicht der Witterung“
beigegeben sind, verzeichneten Minima der Zugstrafse I nur Randbildungen,
Theilminima gröfserer Depressionen sind, die ihren Kern im Winter nordwestlich
von Irland, im Sommer etwas südlich von Irland habev, und dafs hier die
Temperatur in der That ziemlich rasch nach Südost hin anwächst. Aehnliches
gilt für Zugstrafse Vp, welche in der wärmeren und in der kälteren Jahreszeit
ziemlich gleich häufig von Depressionen besucht wird.
Ebenso unschwer zu erklären ist es, dafs die Depressionen die Neigung
haben, die Bahn ihrer Vorgänger einzuschlagen. Hat sich Luftdruck- und
Temperaturvertheilung für eine bestimmte Zugstrafse einmal günstig gestaltet,
oder mit anderen Worten, hat sich einmal die Wetterlage für eine bestimmte
Zugstrafse eingerichtet, so ist klar, dafs die nacheinander folgenden Depressionen
diese Zugstrafse so lange befolgen werden, als sich die Temperatur- und Druck-
verhältnisse nicht geändert haben, welche Aenderung hauptsächlich durch die
mechanischen Wirkungen der Depressionen, oder durch die Einwirkung anderer
das Gebiet durchziehender Depressionen herbeigeführt wird. Da nun aber die
Gebiete hohen Luftdruckes (im Gegensatze zu den nordamerikanischen Verhält-
nissen) in Europa eine entschieden ausgesprochene Erhaltungstendenz zeigen,
so ist klar, dafs die Witterungsvorgänge in unseren Gegenden längere Zeit
hindurch, ja manchmal während ganzer Monate, denselben typischen Charakter
zeigen. Wird indessen von den Depressionen die Zugstrafse geändert, so erfolgt
auch mit diesem Wechsel eine mehr oder weniger entschiedene Aenderung
der Witterung, zumal dann, wenn diese Bahnen verschiedene Richtung haben,
z.B. wenn die Depressionen eine nach Nordost führende Strafse verlassen und
in eine nach Südost gerichtete einlenken. Eine Vergleichung unserer Wetter-
kärtchen wird dieses sofort bestätigen.
Nicht immer, ja in den wenigsten Fällen, sind Luftdruck und Temperatur
um die Depressionen in demselben Sinne vertheilt; und diesem Umstande ist es
hauptsächlich zuzuschreiben, dafs die Fortpflanzung und die Umwandlung der
Depressionen so aufserordentlich viele Mannigfaltigkeiten zeigen. Ist die Ver-
theilung des Luftdruckes und der Temperatur in der Umgebung der Depression
eine entgegengesetzte und ziemlich gleichwerthig, so wird die Bewegung der
Depression gehemmt oder ganz aufgehoben (stationäre Depressionen), dabei
nimmt die Depression eine längliche, mehr oder weniger verzerrte Form an,
deren Längsaxe senkrecht zum Luftdruck- resp. Temperaturgradienten steht, und
an deren Enden sich häufig Theilminima loslösen, die dann der Luftströmung
folgen, welche der ganzen Luftsäule über der entsprechenden Gegend eigen ist.
Ist aber im obigen Falle nach der einen Seite hin entweder der Luftdruck oder
die Temperatur überwiegend, so wird die Richtung der Ortsbewegung durch das
überwiegende Element bestimmt.
Sind andererseits Luftdruck und Temperatur um die Depression zwar
nicht entgegengesetzt, aber auch nicht nach demselben Sinne vertheilt, so wird
eine- resultirende Richtung eingeschlagen, welche der mächtiger . wirkenden
Ursache mehr entspricht.
Schon aus dieser kurzen Erörterung folgt die hohe Wichtigkeit dieses
Satzes in seiner Anwendung bei der Wetterprognose. Soll aber unser Urtheil ein
richtiges sein, so ist es vor allem nothwendig, auf möglichst grofsem Gebiete in
der Umgebung die Luftdruck- und Temperaturvertheilung zu kennen, insbesondere
aber die Uebersicht über die Wetterlage nach Westen hin möglichst zu er-