Andries: Resultate aus fünfjährigen meteorologischen Beobachtungen etc.
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Diese Verspätung bat aber nicht allein ihren Grund in der niedrigeren Temperatur,
sondern auch in der allgemein etwas gröfseren Bedeckung des Himmels, in dem
gröfseren Feuchtigkeitsgehalt der Luft und in der viel gröfseren Windstärke.
Die gröfsere Bedeckung und Feuchtigkeit sind insofern von Einflufs, als sie
die Intensität der leuchtenden und chemisch wirksamen Strahlen, welche beiden
Strahlenarten von hoher Bc-deutuDg für die Entwickelung jeder Pflanze sind,
vermindern.
Die meisten Pflanzen fangen erst bei einer Temperatur von ca 6° C. zu
treiben an. Diese Temperatur tritt im Durchschnitt in unserer Gegend am
6. April ein, während sie in Frankfurt a.M. und in Trier am 27. März eintritt.
Dieser Zeitunterschied beträgt allerdings nur 10 Tage. Die übrigen 10 Tage
müssen dem Einflüsse der drei übrigeu retavdirenden Faktoren zugeschrieben
werden. Dieselben Erscheinungen beobachtet man auch in anderen Ländern.
Die Vegetationsdauer des Weizens beträgt am unteren Lauf der Rhone (Orange)
117 Tage, in der Umgebung von Poris 138 Tage. Die Temperatur von 6° C.
tritt dagegen blos um 14 Tage später in Paris (15. März) als in Orange (1. März)
ein. Es herrscht aber im südlichen Ä/<o««-Thal ein heitererer Himmel als in Paris,
daher die Beschleunigung der Vegetation an ersterem Orte. Ebenso findet in
England die Reife der Feldfrüchtc in Anbetracht seines milden Klimas sehr
spät statt. Im nördlichen England, in gleicher Breite mit der Xordseeküste,
tritt diese Reife noch später ein als bei uns. Neben dem trüben Himmel, der
feuchten Luft und Wind wirkt auch die relativ niedrige Sommertemperatur
Englands verzögernd ein.
Der Umstand, dafs an der Küste eine relativ hohe Wintertemperatur
herrscht, veranlafst manche zu der iirthümlichen Meinung, dafs auch im Früh
jahre die V egetation sich entsprechend früh entwickele. Dies ist aber, wie wir
gesehen haben, durchaus nicht der Fall. Wenn auch die Temperatur des Winters
hier ungefähr dieselbe ist, wie am Mittelrhein, so gilt dies aber schon nicht
mehr für die Frühjahrsuiouate. Der April hat hier eine mittlere Temperatur
von 7,2° C., während z. B. in Wiesbaden, Frankfurt a. M. die mittlere Temperatur
dieses Monats 9,5^0. beträgt. Ein gleicher Unterschied besteht für den Monat
Mai. Wenn daher auch im März die Pflanzenwelt an der Nordseeküste ebenso
weit fortgeschritten ist, wie an jenen Orten, so gewinnen doch letztere infolge
der beträchtlich höheten Wärme und gröfseren Klarheit des Himmels in den
Monaten April und Mai bald einen grofsen Vorsprung. Dies gilt aber nur für
die relativ niedrig gelegenen Orte des Innern Deutschlands. Orte wie München
büfsen durch ihre hohe Lage dcu Vortheil südlicherer Lage vollständig ein.
Aber selbst in solchen Gegenden im Innern Deutschlands, deren mittlere Jahres
temperatur mit derjenigen der Nordseeküste genau übereinstimmt, gewinnt die
Vegetation im Frühjahr doch noch einen kleinen Vorspruug gegen die hiesige.
So hat z. B. Leipzig gegen liier noch einen Vorsprung von acht Tagen, des
gleichen Bremen. Aufserdem scheinen an der Nordseeküste die im Frühjahre
so schädlichen E- und NE-Winde heftiger und anhaltender aufzutreten, als
im Innern.
Wenn wir von dem in Rede stehenden fünfjährigen Zeiträume absehen,
der sich überhaupt durch abnorme Witterungsverhältuisse auszeichnet, so bieten
doch frühere Zeitabschnitte mehrfache Beispiele von abnorm niedrigen Monats
mitteln des April und Mai. So war in vier auf einander folgenden Jahren
1858—61 der Monat April in Jever im Mittel um 1,4° C. zu kalt, während die
entsprechenden Jahre in Frankfurt a. M., in Trier nur ein Minus von 0,6°
zeigten, Köln ein solches von 1,0° C.
Dagegen sind die Sommermonate Juni, Juli, August im Allgemeinen recht
angenehm. Es herrscht dann eine gleichmäfsige, nicht allzu hohe Temperatur,
die durch den frischen Wind nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Auch die
Monate September und Oktober sind häufig noch recht angenehme Monate. Doch
ist der Oktober nicht mehr zuverlässig, es treten schon die Herbststürme zu
weilen in recht unangenehmer Weise auf.
Dem Bewohner des Binnenlandes, der sich im Sommer an der Küste auf
hält, fällt es auf, dafs man nur sehr wenige Abende irn Freien in angenehmer
Weise verbringen kann, und er ist geneigt, dies der niedrigen Temperatur