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längere Zeitraum und wiederholte Uebergang zwischen Luftschichten verschiedener
Temperatur wird durch eine Verstärkung und leichte Modifikation des aufFig. 3
dargestellten Schemas der Bewegung erklärbar sein, wenn man annimmt, dafs
Hagelkörner in den bei bc aufsteigenden Luftstrom gelangen kÖDnen und dieser
stark genug sei, sie wieder in die Höhe zu führen. Für die, schon öfters
betonte, Abhängigkeit der Hagelbildung von der Natur der Bodenoberfiäche
scheinen auch beim Unwetter vom 9. August 1881 sich mehrfache werthvolle
Anhaltspunkte zu ergeben, indem der Hagelfall die Wälder und deren unmittel
bare Nachbarschaft mied, die Wald- und Seengegend um Gremsmühlen sogar
übersprang und in einem Falle (am Fehmarsund) dicht vor der Meeresküste
aufhörte. Allein die Neustädter Bucht scheint der Hagelstreif ohne Störung zu
passiren, an den Ufern des Segeberger und des Warder Sees (Wensien) haben
die gröfsten Verheerungen stattgefunden, und jenseits der Lücke hat der Hagel
in dem offenen, aber von Wäldern umringten Gebiete Stendorf—Sagau ein
gesetzt, während er den gröfseren waldlosen Laudstrich nordöstlich von Malente
noch verschonte; es ist also dieser Zusammenhang kein strenger.
Wenn oben gesagt wurde, dafs die Ausbildung von wirbelnden Luftsäulen
in dieser Böe nicht sicher nachweisbar sei, so wurde dabei nur auf solche mit
vertikaler Axe Bezug genommen; dagegen ist dio Annahme von Wirbelbe
wegungen um horizontale Axen für eine physikalische Auffassung unvermeidlich,
wie denn solche auch auf Fig. 3 dargestellt sind; doch gilt dieses nur für die
relative Bewegung der Luftmassen gegen einander, nicht für diejenige in Bezug
auf die Erdoberfläche; denn es ist sehr unwahrscheinlich, dafs über der Böe
und deren nächster Nachbarschaft es in irgend einer Höhe über der Erdober
fläche am 9. August 1881 Luftmasson gegeben habe, welche aus NE nach SW
sich bewegten.
Mit dieser Darstellung über die Natur der Böe als eines Luftwirbels um
eine lange horizontale Axe, der auf einer grofsen Strecke gleichzeitig für
wenige Minuten Dauer auftritt, nacheinander aber einen grofsen Raum bestreicht,
stimmt durchaus die von Herrn G. Hiurichs in seinem „Iowa Weather Bulletin
for June 1881“ über „Iowa Squalls“ gegebene überein, welche letzteren er sehr
klar von den Tornados unterscheidet. Es ist dieses um so bemerkenswerther,
als es die einzige präcise Nachricht über echte Böen aus Amerika ist und
Hinrichs, gewifs mit Recht, bemerkt, dafs Vieles, was vom Publikum als
Tornado bezeichnet wird, in Wirklichkeit eine solcho Böe ist. In den höchst
werthvollen neueren Untersuchungen von Finley über Tornados finden wir
„Squalls“ nicht erwähnt, sondern unter dem wenig passenden Namen „Hurricanes“
mit den längeren Winterstürmen vereinigt. Die Bedingungen, unter welchen
unsere Böe stattfand, sind sehr ähnlich jeneD, unter welchen in Amerika Tor
nados (häufig zu mehreren) auftreten; dafs in unserem Falle keine solchen ent
standen, dürfte gröfstentheils daran liegen, dafs ein erheblicher Luftzuflufs zur
Rinne niederen Druckes von der vorderen Seite derselben durch die in Europa
— in höherer Breite — intensivere Wirkung der Erdrotation verhindert war,
und damit also auch die zur Toruadobildung nothwendige Konvergenz be
schleunigter Strömungen fehlte.
Ich kann nicht sehliefsen, ohne auf die Aehnlichkeit der hier, grofsen-
theils als Resultat der eingehenden Untersuchung recenter Vorgänge, ausge
sprochenen Ansichten mit den von Hin. Dr. Vettin vor 25 Jahren in einem
Aufsatze: „Ueber den aufsteigenden Luftstrom, die Entstehung des Hagels und
der Wirbelstürme (Pogg. Ann. Bd. 102 SS. 246—255) dargelegteu Anschauungen
hinzuweisen. Die Fig. 6 Taf. III von Hin. Vettin stimmt, wenn man die Be
wegungen als relative auffafst und die darauf bezüglichen Worte auf S. 249
hinzuzieht, wesentlich mit unserer Fig. 3 überein. Der bezügliche Aufsatz hat
bald darauf (ibid. SS. 607—613) von der damals gröfsten Autorität in der
Meteorologie eine heftige Abweisung erfahren und ist, wie auch die übrigen
Aufsätze desselben Verfassers in den Bänden 99 und 100 derselben Zeitschrift,
der Vergessenheit verfallen, vielleicht zum nicht geringen Theile eben durch
jene Verurtheilung; jedoch zum Schaden der Sacho. Ich selbst habe diese Ar
beiten erst ganz kürzlich kennen gelernt und war erstaunt, in denselben An
sichten und Methoden zu finden, welche den jetzt mehr und mehr in Aufnahme