IX. „Die oberen Strömungen der Atmosphäre hüben zwar im Allgemeinen
die Tendenz, Gebiete hohen Druckes zu ihrer Rechten zu lassen (wobei sie in
dessen von den ausgedehnteren Drucksystemen abhängen und verhältnifsmäfsig
unbeeinflufst von sehr eng begrenzten barischen Gebieten bleiben), sie weichen
dabei jedoch erheblich vom Buys-Ballot’sehen Gesetze ab, denn
X. Obere Luftströmungen zeigen, in einem grofsen Procentsatz aller
Fälle, eine entschiedene centrifugale Tendenz über den Gebieten niederen
Druckes und eine centripetale über jenen hohen Druckes.“
XI. „Die Axe einer fortschreitenden Depression ist gewöhnlich rück
wärts geneigt.“
Die ersten drei Sätze sind seit 20 Jahren mehr und mehr Gemeingut
geworden und fehlen heute kaum in irgend einer elementaren Darstellung der
Meteorologie — als CI. Ley Obiges niederschrieb, waren sie es freilich noch
lange nicht in dem Grade wie heute. Die Sätze V, VII und VIII haben sich
seitdem mehr und mehr als unrichtig erwiesen. Dagegen haben die Sätze IV,
VI, IX, X und XI, grofsentheils wohl wegen ihrer Verkettung mit den eben
genannten und wegen Mangels einer richtigen Theorie, welche die Widersprüche
zu beseitigen gestattet hätte, bis in die neueste Zeit nicht die Beachtung ge
funden, welche sie verdienten. Erst die theoretischen Arbeiten der letzten Jahre
scheinen die Grundlage zu deren richtiger Beurtheilung geliefert zu haben, und
diese habe ich in Bezug auf den Satz IV, der uns hier specieller beschäftigen
soll, in Verbindung mit Punkt VI und XI Anfang 1880 zu geben versucht in
einem Aufsatz „Ueber die mechanischen Ursachen der Ortsveränderung atmo
sphärischer Wirbel“ („Oesterr. Zeitschr. f. Meteor.“, Bd. XV, pag. 41—53);
Punkt IX und X sind hingegen in Bezug auf die zu Grunde liegenden Ursachen
theils früher theils später von Ferrel, Sprung (vgl. diese Annalen, 1880,
pag. 608) und Möller (vgl. diese Annalen, April-Heft 1882, pag. 212) behandelt
worden. Die zunehmende Wahrnehmung ferner, dafs in der Laplace’schen
Höhenformel eine Fülle von Aufschlüssen über die wichtigsten Verhältnisse der
Atmosphäre enthalten sei, welche noch lange nicht genügend ausgenutzt ist,
veranlafste mich später zu einem Aufsätze „über die vertikale Vertheilung des
Luftdrucks“ („Zeitschr. f. Meteor.“, März-Heft dieses Jahres), welcher die hier
vorliegenden Fragen nahe berührt. Endlich findet man in dem soeben erwähnten,
fast gleichzeitig mit dem letzteren erschienenen zweiten Artikel des Herrn
M. Möller eine Menge wichtiger Bemerkungen über alle die hier berührten
Fragen.
Ich glaube, dafs man nunmehr den Sätzen von Clement Loy vier neue
hinzufügen kann, wobei zuvor die Sätze V, VII und VIII nach dem augenblick
lichen Stande unserer Kenntnisse zu ersetzen sind durch folgenden:
„Gebirgige Gegenden werden, trotz ihres Regenreichthums, seltener von
Depressionscentren frequentirt, als die umliegenden Flachländer und Meere; 1 )
überhaupt ist ein Einflufs der Niederschläge auf die Depressionen zwar nicht
ausgeschlossen, aber durchaus noch nicht klargestellt und jedenfalls nur sehr
mittelbar vorhanden.“
Die neuen Thesen, von denen indessen namentlich die erste mehr als
Angriffspunkt für die weitere Diskussion, denn als feststehender Lehrsatz auf
gestellt wird, lauten:
A. Die Richtung der Luftströmung ist in unseren Breiten in der Ent
fernung von etwa 500 bis 3500m von der Erdoberfläche durchschnittlich fast
parallel den Isobaren der betreffenden Schicht, während sie in der untersten
Luftschicht um 0—8 Strich nach der Seite des niederen Druckes und in der
Schicht von 3500—9000m um 0—2 Strich nach jener des höheren Druckes von
der Isobare der betreffenden Schicht ab weicht.
B. Weil der Druck in warmer Luft langsamer mit der Höhe abnimmt,
als in kalter, so ändern sich nach aufwärts die Gradienten — abgesehen von
ihrer Proportionalität mit dem Luftdruck — in der Weise, dafs ein Ueberdruck
auf Seite der wärmeren Luftsäulen entsteht; hierdurch ist Satz XI und weiter
hin Satz D. bedingt.
') Vgl. „Wiss. Ergehn, a. d. Monat], Uebers. d. Witterung, I, pag. 14 und II, pag. 29* (Mon.
Uebers. 1877 und 1880).