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halten, um Angesichts des drohenden Gewitters schnell das Land gewinnen zu
können. Bei Ausbruch desselben landete man in der Nähe von DierhageD,
woselbst die Passagiere des Fahrzeugs in grofsen Heuhaufen Schutz gegen den
Regen fanden. Nachdem das Gewitter vorüber war, wurde wiederum in See
gegangen und die Reise dicht unter Land fortgesetzt, als plötzlich der kurze
Orkan unvorhergesehen das Boot erfafste und zum Kentern brachte. Von den
Fahrgästen wurden nur vier gerettet.
Ueber den Verlauf der beiden kurz hintereinander folgenden Unwetter
in dieser Gegend giebt eine Korrespondenz der „Meckl. Anz.“ No. 186 eine
anschauliche, wenn auch etwas romantisch gefärbte Schilderung:
Dierhagen, 10. August. Wogen der traurigen Katastrophe, welche das Gewitter gestern
auf der See nahe bei Wustrow herbeigeführt hat, dürfte ein Bericht über dasselbe nicht ohne Interesse
sein. Referent konnte in der nicht ganz angenehmen Situation als Fahrgast auf dem Fährboote
zwischen Ribnitz und Dierhagen dasselbe von Anfang an genau beobachten. Als wir rV-t Uhr von
dort absegelten, standen schwere Gewitterwolken im Westen, nahmen aber sichtlich ihren Zug hei
der herrschenden frischen Südost-Briese gegen Westen. Im Süden erschien die Luft schmutzig gelb
gefärbt. Bald aber ballten sich graublaue Wolken zusammen, von etwas weifslichen Streifen durch
zogen. Ans ihnen sah man deutlich Regen herabströmen. Plötzlich erschien das Wasser nahe dem
Ufer glänzend hell. Ueber ihm rückte eine dunkle Wand gegen uns an. Die Segel wurden so klein
wie möglich gemacht. Die Wolkenmassen, jetzt düster geschwärzt, lagerten über unserem Haupte.
Der Anker mufste ausgeworfen werden, und auf- und abhiipfend lag das Fahrzeug auf dem Wasser.
Dieses toste nicht in langen Wellen um dasselbe, sondern trichterförmig stiegen die Wogen auf und
ab, Schaum aufspritzend, der theilweise von den schweren Regentropfen herrührte, die herabkamen.
Nicht Sausen und Brausen schlug ans Ohr, es war ein Zischen und Schwirren, nur wieder und
wieder von dem Knattern und Knallen heftiger Donnerschläge unterbrochen, die unmittelbar den hell-
flammenden Blitzen folgten. Wohl nach einer Viertelstunde hörte der Regen auf; die Gewitterwolken
zogen nach Osten, und der mächtig langhinhallende Donner zeigte seine gröfsere Ferne an. Eilig
ward der Anker gehoben. Der noch herrschende günstige Ost mufste möglichst benutzt werden,
denn die kundigen Fährsleute verkündeten, dafs bald Weststurm durchbrechen werde, dessen Nahen
ihnen wieder schmutziggelbe dichte Luft im Abend anzeigte. Glücklich erreichten wir auch die
Stelle vor Dierhagen, wo, eine Strecke vom Ufer entfernt, die Fährboote dort ankern müssen, da
man sich in unserem Dorfe noch immer nicht über die Stelle hat vereinigen können, wo ein Hafen
oder ein Bollwerk anzulegen sei. Die Fährsleute drängten die Passagiere in das Polt, ein Fahrzeug
mit flachem Boden und niedrigem Bord, um sie über das seichte Vorland ans Ufer zu bringen. Kaum
waren wir in dem Fahrzeuge, da brauste aus den dunklen Wolkenballen, die über den Häusern sicht
bar wurden, ein Windeswehen, welches die Baumkronen zerzauste und das Rohr bis auf die Wasser
fläche beugte. Auf dieser erschienen wieder die tanzenden trichterförmigen Wellen mit weifsen
Gischtköpfen. Nur mit Aufbietung aller Anstrengung gelang es, durch sie hindurch zu dringen und
ans feste Land zu kommen, während der Regen herabgofs. Nur etwas über zehn Minuten dauerte
das furchtbare Stürmen und Wehen. Dann wurde es gelinder und nahm gegen Abend fast ganz ab.
Heute haben wir heftigen Westwind und einzelne Regenschauer bei merklich abgekühlter Luft. Die
selben sind unseren Büdnern, die mitten in der Korn- und Heuernte auf ihren Wiesen begriffen,
äufserst hinderlich.
Die in den Berichten aus Warnemünde sowohl als aus Wustrow erwähnte
Erscheinung von Wind- oder Wasserhosen bei der Böe ist mit einiger Vorsicht
aufzunehmen, da sie von den betreffenden Beobachtern nicht selbst gesehen
sind, und wir fast allerwärts in dem ungeheuren Terrain, das von der Böe be
troffen war, in den unter dem ersten Eindruck geschriebenen Zeitungsberichten
die Annahme finden, der betreffende Ort sei von einer „Windhose“ getroffen.
Dafs die Kraft des Sturmes flecken- und streifenweise gröfsor war, als ander
wärts, ist allerdings unzweifelhaft und stimmt auch mit den bei anderen Stürmen
gemachten Erfahrungen; von einer um vertikale Axe wirbelnden Bewegung der
Luft liefs sieh aber, wo die Sache genauer untersucht werden konnte, nichts
entdecken. Eine Zeitungs-Korrespondenz aus Kröpelin (West von Rostock) dürfte
den Thatbestand richtig darstellen: „Ein eigentümliches Schauspiel soll bei
dem plötzlichen Unwetter die See geboten haben. Dieselbe hat ruhig und
wellenlos dagelegen, aber der mit dem Gewitter daherbrausende Sturm hat ein
zelne Wasserstreifen haushoch emporgepeitsoht, wogegen die zwischen diesen
Streifen befindlichen Wassermassen ruhig wie zuvor geblieben sind. Fischer,
welche auf dem Meere bei ihren Netzen zu schaffen gehabt haben, sind dadurch
dem Verderben entronneu, dafs sie in gröfster Eile mit ihren Booten vor den
anbrausenden aufgethürmten Wassermassen in die ruhigeren Striche geflohen sind.“
Herr Kapitän Ho ff mojer, Direktor des Dän. Moteorol. Instituts, hatte
die Güte, uns eine grofse Anzahl von handschriftlichen Mittheilungen über die
Gewitter und Böen vom 9. August in Dänemark zuzusenden, die er tlieils von
den Beobachtern des Instituts, theils als Antwort auf eine Anfrage erhalten