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Der Gewittersturm vom 9. August 1881.
(Beiträge zur Kenntnifs der Böen und (ievvitterstiirino. Zweite Abliaudlung.) *)
Von Dr. W. Koppen.
(Mit vier Tafeln, No. 20—23.)
(Mittheilung von der Deutschen Seewürfe.)
1. Einleitung.
Am 10. und 11. August 1881 brachten die Hamburger Zeitungen eine
Reihe von Berichten über Verwüstungen und Unglückstalle, welche am 9. August
durch ein Unwetter von sehr kurzer Dauer verursacht waren. Da die meisten
dieser Berichte sich auf Lübeck und dessen nächste Umgebung bezogen und
die Erscheinung als eine lokale Windhose davstellten, so glaubte ich darin eine
Gelegenheit zur genauen Prüfung eines der seltenen europäischen Repräsentanten
des Typus der „Tornados“ von Nordamerika gefunden zu haben, und wurde
deshalb auf meinen Antrag von der Direktion der Seewarte nach Lübeck zur
Feststellung des ^Tatbestandes an Ort und Stelle entsandt. Am 12. August
Vormittags reiste ich bereits dorthin ab, um die Spuren der Erscheinung noch
möglichst intakt vorzufinden. Gleich bei Beginn der Untersuchung zeigte es
sich aus den vom Sturm hinterlassenen Wirkungen, den Belichten von Augen
zeugen und namentlich den inzwischen einlaufenden Zeitungsnachrichten aus
Mecklenburg, Eutin und selbst Berlin, dafs der Charakter des Unwetters ein
wesentlich anderer, als der erwartete war, und dafs dasselbe auf einem sehr
grofsen Gebiete aufgetreten war, von dem ich nur den kleinsten Theil in Augen
schein nehmen konnte; allein dadurch verlor dasselbe keineswegs an Interesse.
Meine Untersuchung am Orte beschränkte sich nunmehr auf das Dreieck
Mölln i. L.—Grevesmühlen—Eutin, wozu ich nach meiner am 15. August erfolgten
Rückkehr nach Hamburg den Besuch der geschädigten Oertlichkeiteu in Ochseu-
wärder und Allermöhe an der Elbe hinzufügte. Es erschien zweckmäfsig, die
zur Verfügung stehende Zeit mehr auf eingehende Untersuchung möglichst vieler
Punkte eines beschränkten Gebietes, als auf flüchtige Durch reisurig eines gröfsereu
Landstriches zu verwenden, um ein möglichst genaues Bild vom Auftreten des
Phänomens in einer bestimmten Gegend zu gewinnen. Auf Grund der hierdurch
und durch Sammlung der Zeitungsnachrichten erlangten vorläufigen Uebersicht
wurde nun von der Direktion der Seewarte die Bitte um Mittheilung von
Material einerseits an die Direktionen der Grofsherzoglich Mecklenburgischen
Friedrich Franz-Eisen bahn, der Berlin-Hamburger Hahn und der Hannoverschen
Staatsbahn, andererseits an die Meteorologischen Institute von Berlin, Leipzig,
München, Stuttgart, Karlsruhe, Schwerin, Magdeburg, Wien, Kopenhagen, Utrecht
und Brüssel, an den Vorstand des forstlich-ombrometrischen Stationsnetzes von
Böhmen in Weifswasser, sowie an eine Anzahl meteorologischer Beobachter
gerichtet, und zwar an die Eisenbahn-Verwaltungen unter Hinzufügung eines
Vorraths von Exemplaren eines Fragebogens zur Verkeilung an die Bahnhofs-
Inspektoren, Zugführer und Lokomotivführer. Diesem Ersuchen wurde allerseits
in sehr entgegenkommender Weise entsprochen, wodurch ein so reiches Material
über den Gewittersturm vom 9. August zusammenkam, wie es nicht allein in
Deutschland, sondern auch wohl in keinem anderen Lande über eine ähnliche
Erscheinung gesammelt worden ist. Die Untersuchung gewann, der Natur der
Sache nach, diese Ausdehnung erst allmählich, indem die einlaufenden Nach
richten Veranlassung zu erneuerter Korrespondenz und immer weiterer Aus
dehnung des Untersuehungsfeldes boten. Nachdem bereits Ende August 1881
die Resultate meiner Reise in einem Bericht an die Direktion der See warte
niedergelegt und in den folgenden Monaten in zwei Zeitungsaufsätzen und einem
Vortrage Einiges von dem während der Arbeit Erlangten einem gröfsereu
Publikum mitgetheilt worden ist, bringt das Folgende eine ausführlichere Dar
legung einerseits der Verhältnisse des Unwetters vom 9. August, andererseits
’) Die ¡erste Abhandlung s. „Ami, d. Hydr. etc.“, 1879, pag. 321—33».