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relativen Häufigkeit der barometrischen Minima in den Gegenden, welche sie
durchziehen, weil hier ein neues wesentliches Moment in Frage kommt, nämlich
die Gesellwindigkeit des Fortschreitens, abgesehen von dem Umstande, ob
die angenommenen Zugstrafsen nahe oder weit von einander liegeu, welcher
theilweise von der Art der Zusammenstellung abhängt. Ans diesen Gründen
entspricht der ungemein grofsen Zahl jährlich die grofse Zugstrafse über das
amerikanische Seengebiet verfolgender Minima, welche Zahl diejenige auf den
frequentesten anderen Strafsen mehrfach übertrifft, koine ebenso abnorme Häufig
keit in der Existenz der Minima in den Gegenden, durch die sie führt; denn
die mittlere Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Minima ist in Nordamerika, wie
schon erwähnt, etwa doppelt so grofs wie bei uns.
Aufscr den zahlreichen, rapid von Westen durchziehenden Depressionen,
welche mit den zwischengelagerten barometrischen Maxima aufserordentlich
rasche Schwankungen im Luftdruck und in der Temperatur dieser Gegenden
verursachen, kommt eine erhebliche Anzahl solcher auch aus dem Südwesten
von Texas oder der östlicheren Golfküste, namentlich in der kälteren Jahres
zeit, nachdem sie dort die sog. „ North er s“ bewirkt haben. Dagegen dürfte es
zunächst überraschen, dafs die so viel besprochenen westindischen Orkane mit
ihrer Umbiegung nach NE einen so geringfügigen Bruchtheil der Geaammtzahl
der atlantischen Wirbel bilden; so wichtig und furchtbar diese Orkane auch
sind, so umfassen sie einen so kurzen Zeitraum (Juli bis Oktober) und sind auch
innerhalb desselben so selten, dafs sie auf die mittleren Werthe der meteoro
logischen Faktoren keinen Einflufs haben.
Man möchte erwarten, auf einer weiten Wasserfläche würden sich die
meteorologischen Vorgänge weit vegeimäfsiger und einfacher abspielen, als auf
den Kontinenten oder in deren Nähe, wo die Mannigfaltigkeit der lokalen Ver
hältnisse fortwährend zur Störung des atmosphärischen Gleichgewichts beiträgt.
Die Erfahrung zeigt indessen, und auch unsere Karte liefert eine Andeutung
hiervon, dafs die Bewegungen und die Umbildungen der Depressionen auf dem
Ocean viel unrege]mäfsiger sind, als über dem nordamerikanischeu Kontinent.
Die Ursache davon liegt wahrscheinlich vor Allem in der Nachbarschaft warmer
und kalter Meeresströmungen und in der geringeren Reibung an der Wasser
fläche, wodurch einmal eingeleitete Massenbewegungen sich hier weit länger
erhalten und in immer neue Formen umsetzen können, mit anderen Worten die
Nachwirkungen des vorhergehenden Zustands hier mächtiger sind, als auf den
Kontinenten. Welche Bedeutung die Nachbarschaft verschieden temperirter
Wassermassen hat, sieht man daraus, dafs diese Unruhe vorwiegend in dem
westlichen und nicht in dem (an der Oberfläche) glcichmäfsig durchwärmten
östlichen Theilo des Oceans sich fiudet. Westlich von 30° W-Lg naufs der
Schiffer sich auf weit raschere Aenderungen des Windes gefafst machen, als
östlich von diesem Meridian.
Von den auf der grofsen Zugstrafso vom „far Nor’west“ über die oberen
Seen heranziehenden Depressionen wendet sich ein Tbeil von da schon über
Labrador nordostwärts nach der Davis-Strafse, die Mehrzahl indessen geht bis
zum St. Lorenz-Golf und von dort entweder weiter auf den Ocean oder mit
einer scharfen Wendung nordwärts nach Grönland. Von der Davis-Strafse, wo
sieh die Depressionscentren vorwiegend über der warmen Strömung auf deren
Ostsoite zu halten scheinen, ziehen dieselben entweder weiter dem Pole zu, oder
ostwärts gegen Island; der Mangel an Observations-Punkten auf Baffinaland
gestattet in der Regel nicht, festzustellen, inwieweit die von Grönland nach
Island gehenden Depressionen dieselben sind, welche von Südeu heraufkamen,
oder neue von NW herangezogene, doch scheint das Letztere nach den Beob
achtungen der „Florence“ im Cumberland-Golfe seltener der Fall zu sein, als
man annahm. Die zu errichtende deutsche Polarstation im Cumberland-Golfe
wird darüber weitere Aufklärung bringen.
In dem Raume von 70° bis 40° W-Lg und 42° bis 48° N-Br finden wir
über dem Ocean und den Küstenprovinzen des britischen Nordamerika’® eine
mannigfaltige Verflechtung der Zugstrafsen, in welcher vielleicht bei weiteren
Forschungen gröfsere Einfachheit sich wird nachweisen lassen. Die Mehrzahl
dieser Zugstrafsen verläuft merkwürdigerweise nördlich vom Golfstrom über dem
kalten Wasser der Polarströmung und berührt höchstens den Nordrand des