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der .südlichen Nordsee größte Wassermassen zu. Ueber der nördlichen Nordsee
herrschten nördliche Winde, die nach Süden hin allmählich in NW und W
übergingen. Berücksichtigen wir noch, dafs alle diese Winde zum mindesten
stürmisch, meistens aber als voller Sturm und vielfach in orkauartigen Böen
auftraten, ferner dafs zur Zeit des Hochwassers, um Mitternacht (in Kuxhavou
und ültickstadt um 1 Uhr), an der deutschen Nordseeküste die Winde nach N W
drehten und mit erneuter Heftigkeit wehten und so der Fluthwello einen neuen
kräftigen Impuls gaben, so vereinigen sich alle diese Ursachen zu dem Resultate,
dafs trotz der „Dove Tide“ sich in der südlichen Nordsee, sowie in den Flufs-
uüindungen schreckencrregendc Wassermassen ansammeln und vou argen Ver
wüstungen begleitet sciu mufsten. Das Niveau des Wassers war gegen die
Flufsmüudung ein aufsteigendes, und daher konnte die nächste Fluth keine
wesentliche Erhebung der Oberfläche zu Stande bringen, um so weniger, als an
der Unterelbo Dammbrüche eingctretcu waren und die vom Meere kommende
Fluthwello sich iu die ausgedehnten Ebenen ergiefsen konnte.
Aehnlich war die Situation beim Sturm vom 30. Januar 1877, wo durch
die West- und Siidweststürme im Kanal und die Nord- und Noidweststürmc
über der Nordsee das Wasser au unserer Küste angestaut wurde, wodurch die
von zahlreichen Verwüstungen begleitete Sturmfluth an der ostfriesischen und
holländischen Küste entstand, welche die höchste dieses Jahrhunderts in jenen
Distrikten gewesen sein soll.
Ueber die Windverhältnisse geben die Registrirungen des neuen au der
Seewartc nufgestellten Anemometers ein anschauliches und dctaillirtes Bild, so
dafs für jeden Moment Richtung, Stärke und Geschwindigkeit des Windes neben
einander übersichtlich durch den Apparat dargestellt sind.
Der Sturm wurde eiugeleitet etwas Dach 2 Uhr Nachmittags durch rasch
aufeinander folgende Böen, die mit ziemlich gleiohbleibender Stärke bis etwa
y’/a Uhr anhieltcn, wobei die mittlere stündliche Windgeschwindigkeit bis auf
24m pro Sekunde stieg. Nach einigen kleineren Böen von mäfsiger Stärke folgte
6 3 /4 Uhr eine äufserst schwere, vor welcher der Wind von SSW nach SW aus-
sehofs und iu welcher derselbe wieder nach SSW zurückdrehte. Vor der Böe
war das Barometer rasch gefallen, daun ebenso rasch wieder gestiegon. Die
nächste schwere uud länger anhaltende Böe erfolgte um 9 h 40 m , wobei das
Barometer in sehr rasches Fallen überging. Dann folgten die Böen mit gleicher
Heftigkeit rasch auf einander bis zum Morgen. Etwa eine halbe Stunde vor
Mitternacht war iu Hamburg der tiefste Barometerstand = 727,4mm eiugetreten;
die mittlere Windgeschwindigkeit stieg dabei auf 28,7 m pro Sekunde. Diese
mittlere Geschwindigkeit, welche einem starken Sturme entspricht, wurde schon
Öfters übertroffen, z. B. in dem Südweststurm am 15. März 1876 betrug dieselbe
iu Hamburg sogar 31,4m. Iu den einzelnen Stöfsen jedoch war die Geschwindig
keit enorm gröfser, überstieg jedenfalls das Maximum des Druckes in den ein
zelnen Böen 250 Pfund auf das Quadratmeter. Bis 6 Uhr Morgens dauerten
die schweren Böen fort, nach und nach spärlicher auf einander folgend und
nachher allmählich nachlassend.
Ich habe diesen Sturm iu der Nacht vom 14. auf den 15. vou der frei
gelegenen Seewartc, wohl dem höchsten bewohnten Gebäude Hamburgs, beob
achtet, der Eindruck läfst sich schwer wiedergebeu: Das gewaltige Tosen des
Sturmes, der die Wassermassen auf der Elbe vor sich hertrieb, darunter die
rasch auf einander folgenden Warnuugsschüsse von der am Fufse gelegenen
Batterie, welche das weitere Ausehwellen der Sturmfluth anzeigtet), die schweren
vorüberjagenden Wolkenmassen, die dichten Regengüsse, welche der Sturm gegen
die Fensterscheiben peitschte, das Alles erweckte trotz der Sicherheit des Baues
ein besorgnifserregendes unheimliches Gefühl. Mit derselben Gewalt wüthete der
Sturm an den Nordseeküsten, dafür sprechen die vielfachen Verwüstungen,
die zahlreichen Sehififbrüche und die vielen Verluste au Menschenleben. Auch
über Dänemark und au der westlichen Ostsee raste der Sturm mit ungewöhn
licher Heftigkeit: Gebäude wurden beschädigt, Telegraplienleitungen zerstört,
Schiffbrüchc karnon vor, und insbesondere haben die heftigen Regengüsse im
Verein mit dem Sturme mannigfachen Schaden angerichtet.
Au der deutschen Nordsee trat die gröfstc Windgeschwindigkeit fast
bcrnll etwas später ein, als in Hamburg, und dann erst mehrere Stunden
Ami. <t Hyclr., 1SS8, Mett I (Jajttur). 2