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Deviationsbeobachtungen auf Deutschen Kauffahrteischiffen und
einige daraus gewonnene Erfahrungen,
(Mittheilung von der Deutschen Seewarte)
Von C. Koldewey, Vorsteher der Abtheilung II. der Deutschen Seewarte,
Untersuchungen über die Deviationen der Compasse an Bord eiserner
Schiffe wurden als eine der besonderen Aufgaben der Seewarte bei dem Ent-
wurfe des Organisations- und Arbeits-Plans derselben bezeichnet.)
Bisher war in Deutschland in dieser Beziehung für die Kauffahrteimarine
noch nichts geschehen?); weder waren in den verschiedenen deutschen Häfen
geeignete Vorkehrungen zum Schwaien der Schiffe getroffen, noch auch konnten
sich Schiffsbaumeister, Rheder und Capitaine irgendwo Raths erholen über
zweckmässige Aufstellung der Compasse, Art und Weise der Bestimmung der
Deviationen, ihrer Aenderungen und über die Ursachen mancher ihnen räthsel-
haft vorkommenden Erscheinungen.
Bei den in Deutschland gebauten eisernen Kauffahrteischiffen wurden die
Compasse in der Regel so aufgestellt, wie es in England im Allgemeinen in
Gebrauch war, manchmal ohne Rücksicht auf die umgebenden Eisenmassen zu
nehmen. Die Schiffe wurden dann, oft sogar noch mit schlecht construirten, für
die Navigirung eines eisernen Schiffes unzureichenden Compassen, in See ge-
schickt, und es dem Capitain überlassen, seinen Kurs so gut als möglich zu finden.
Dass trotzdem verhältnissmässig so wenig Unglücksfälle mit deutschen eisernen
Schiffen zu verzeichnen sind, ist der beste Beweis für die Vorsicht und Wach-
samkeit unserer Schiffsführer. Bei dem gesteigerten Verkehr aber und der
steten Zunahme des Eisenschiffbaues in Deutschland musste sich zur grösseren
Sicherheit des Seeverkehrs auch in dieser Beziehung das Bedürfniss nach ge-
gigneten Anstalten für eine systematische Behandlung der Deviationsfrage immer
fühlbarer machen. Ausser der Gefahr nämlich, welche mit einer Unsicherheit
in den Compassfehlern auch bei der grössten Vorsicht und Wachsamkeit immer-
hin verknüpft ist, kommt noch der Umstand in Betracht, dass unter allen Ver-
hältnissen diese Unsicherheit mehr oder weniger Aufenthalt für das Schiff her-
vorbringt, ein Aufenthalt, wodurch die Reise verlängert und dadurch die Con-
eurrenzfähigkeit des Rhedereibetriebes mit dem Auslande erschwert wird.
Beobachtungen über die Deviationen ihrer Compasse wurden allerdings
von den Capitainen eiserner Schiffe so oft sich Gelegenheit bot, angestellt, doch
beschränkten sich dieselben mit wenigen Ausnahmen meistens nur auf die Kurse,
welche eben gesteuert wurden, und blieben die einzelnen Beobachtungen ohne
jeden inneren Zusammenhang. An das Entwerfen einer Deviationstabelle für
alle Kurse konnte schon um deswillen kaum gedacht werden, weil einerseits bei
der höchst mangelhaften Kenntniss derjenigen Punkte, welche dabei zu beachten
sind, dieselbe leicht fehlerhaft und unzuverlässig wurde, andererseits auch bei
den Aenderungen der Deviationen mit der Ortsveränderung des Schiffes, deren
Ursachen den Capitainen unverständlich waren, und die ihnen deshalb gesetzlos
und unregelmässig erschienen, der Vortheil regelrechter Tabellen nicht ein-
leuchten konnte und dieselben demnach als werthlos betrachtet werden mussten.
In dieser Meinung wurden die Capitaine nur noch bestärkt durch die in England
gebräuchliche Methode der Adjustirung der Compasse, welche durchschnittlich
für die Kauffahrteimarine in rein empirischer Weise, ohne Rücksicht auf die
Aufstellung der Compasse und die dieselben umgebenden Kisenmassen von
Leuten, denen eine genügende Einsicht in das Wesen der Deviation und deren
Ursachen mangelt, in der Weise ausgeführt wird, dass die Fehler der Compasse
möglichst genau für den Augenblick und den Ort compensirt werden. Die
äbrigbleibenden Fehler werden in eine Tabelle gebracht und dem Capitain ein-
gehändigt, welcher nicht selten Tabelle und Compensationsmagnete nach einer
ganz kurzen Zeit als unbrauchbar und verwirrend über Bord wirft und seinen
Kurs sucht, wie es eben am besten gehen will. Schien die Sonne, und das
Wetter war klar und sichtig, so kam auch das Schiff nicht so leicht in Gefahr,
1) Vgl. „Ann, d. Hydr,“, 1875, pag. 103,
2) Für die Kriegsmarine wurden bereits seit mehreren Jahren die nöthigen Einrichtungen
(ür eine wissenschaftliche Behandlung der Deviationsfrage getroffen (s. „Hydr. Mitth.“, 1873, No. 26,
ag, 305).