Reisebericht der Rostocker Brigg „Hermann Friedrich‘, Capt.
F. Niejahr, von Gothenburg nach Algoa Bai.
Von Capt. F, Niejahr.
(Mittheilung von der Deutschen Seewarte,)
Am 30. April 1875 gingen wir von Gothenburg in Sce, trafen in der
Nordsee südliche Winde und gelangten am 11. Mai bis zu den Downs, woselbst
wir bis zum 13. Mai vor Anker lagen. Ueber Frankreich und Südengland stand
sehr: hoher Luftdruck; ein bedeutendes barometrisches Minimum zog nach dem
Bericht des „Meteorological Office“ in London über Nordirland und Schottland
weg nach Norwegen — im Kanal blieb es still. Wir verliessen die Downs am
13. Mai des Morgens und trieben mit der Ebbe weiter, ankerten mit der Fluth
und gelangten auf diese Weise am 15. Mai bis Beachy Head. In der folgenden
Nacht kam Ostbrise durch, mit welcher die Insel Wight am folgenden Morgen
passirt, und hier der englischen Küste Lebewohl gesagt wurde. ;
Beim Aussegeln aus dem Kanal ziehe ich gewöhnlich vor, die französische
Seite zu halten, wenigstens doch die Kanalmitte, und zwar weil man hier ausser-
halb des Kurses der meisten Dampfer ist, und weil man ausserdem auch, dem
Winddrehungsgesetze zufolge, an der Luvseite sich befindet, falls eine Sturmquelle
von Westen einsetzt. Man ist dann, mit den meistens zuerst durchkommenden
Südwinden, im Stande genügend West zu holen, um später mit dem folgenden
Westwinde die Reise südwärts fortsetzen zu können. Der Ostwind brachte uns
bis Ushant, wo er am 17. Mai 8% Abends auf NW sprang, also eine Gegen-
drehung machte, jedoch vorläufig noch die Fortsetzung der Reise erlaubte.
Was nun die von hier aus einzuschlagende Route anbetrifft, so muss man
sich offenbar nach dem Wetter richten, welches hier im Frühjahr äusserst ver-
schieden ist, Hat man das Glück mit dem oft auftretenden Frühjahrsostwind
im Ausgange des Kanals zu sein, so kann man getrost den Kurs auf Finisterre
nehmen, und wird in der Nähe dieses Caps am sichersten die directe Ver-
bindung desselben mit dem wortugiestischen Nord und vielleicht später mit dem
Nordostpassat antreffen. Im Mai 1875 fanden wir einen solchen vortheilhaften
Wind, doch ist durchaus nicht immer darauf zu rechnen. Sind aber die Westwinde
zu dieser Jahreszeit im Kanal und der Bai von Biscaja vorherrschend, während
längs der Küste Portugals schon .der Sommernord weht, so ist der Uebergang
von ersteren zu letzterem durch NW, und in diesem Falle ist es vortheilhafter
3zich mehr westlich zu halten, man kann dann aber raum weg steuern, sobald
man nur sicher ist, Cap Finisterre umsegeln zu können. Gegen den Herbst,
wenn im Kanal schon die Aequinoctialstürme eingesetzt haben, trifft man den
Wind in der Bai von Biscaja mitunter aus SE und aufraumend, sowie man sich
Finisterre nähert. Zu dieser Jahreszeit hat man dann längs der portugiesischen
Küste statt der Nordwinde häufig solche aus Ost, dieselben sind aber von ge-
ringerer Stärke als die ersteren. In der weiter vorangeschrittenen Jahreszeit,
z. B. in den ersten Monaten des neuen Jahres findet man heftige Südstürme
längs Portugal und thut dann gut immer -mit Backbordhalsen wegzusteuern bis
man dem Gebiet des hohen Luftdrucks unweit der Azoren nahe kommt. Hier
wenden sich die Gebiete des niederen Luftdrucks südöstlich und südlich, und
man wird entweder mit NW, der sich allmählich durch Nord nach NE dreht, den
Passat aufsegeln, oder mit schwachen Südwestwinden im SSE-Kurs Windstillen
antreffen und dann, vom leicht durchkommenden, und nach und nach auffrischen-
den Passat begünstiet, die Reise fortsetzen können.