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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 63. Band Nr. 2
Es ist unschwer verständlich, daß ein Unterscheidungsversuch, der sich auf so verschiedene
Eigenschaften, nämlich genetische, morphographische und erdgeschichtliche gründet, unzulänglich
bleiben mußte. Daher gehen die Versuche G. B r a u n ’ s Vorschlag um- und auszudeuten bis heute
weiter wie die nachstehenden Auszüge zeigen.
In A. Supan’s Grundzügen der physischen Erdkunde 6. Aufl. 1921 S. 614 lesen wir:
„Erfolgt die Ablagerung... des von Wellen und Küstenströmung transportierten Materials in
einiger Entfernung von der Küste, so entstehen Sandbänke (an der deutschen Küste Riffe genannt),
die unter günstigen Umständen zu Inseln oder langgestreckten Strandwällen über den Meeres
spiegel emporwachsen. Die Lidi an der adriatischen Flachküste Italiens sind solche Strandwälle ...
Anderer Art sind die Nehrungen... Im Gegensatz zu dem insularen Lido haftet die Nehrung dem
Kliff der ursprünglichen Küste an ... In ihrem ersten Stadium ... nennt man solche Strandwälle
Haken.“
Der einzige, der eine Entstehung von Lidi aus Strandwällen anzuzweifeln wagte, war
M. H a n n e m a n n. Er schrieb 1928 S. 278: „daß aber in einer offenen Wasserfläche der Wellen
schlageine Barre so weit zu erhöhen vermag, daß sie als Nehrung aus dem Wasser emporwächst, ist
m. W. bisher noch nirgends wirklich beobachtet worden. Ebensowenig sind mir aber Faktoren be
kannt, welche ein derartiges Emporwachsen bewirken können.“
van Veen (1936 S. 228) unterscheidet Nehrungs- oder Limanen-Küsten mit Haffen und
Barren- oder Lido-Küsten: „Nehrungen wachsen von einem festen Punkt aus horizontal in tiefes
Wasser hinein, Barren hingegen zur Hauptsache senkrecht nach oben am Rande einer sandigen
Flachküste. Nehrungen entstehen aus lockeren Gesteinen an unruhig gestalteten Küsten; Barren
werden außerhalb der Küste aus Meeressand aufgehäuft. Jedoch gibt es keine reinen Lido-Küsten,
da in dem Maße wie sie sich bilden Uferströmungen auf treten und Haken an jeder neugebildeten
Insel entstehen. Es gibt zahlreiche echte Limanen-Küsten, aber reine Lido-Küsten sind selten. Für
diese siml Durchlässe zwischen schmalen Inseln bezeichnend.“
Auf S. 128 unten heißt es ebenda: „Zeitweise sah man die niederländische Küste als eine Neh
rung an ... gegenwärtig aber nimmt man an, daß ein Strandwall durch Brandung auf einem flachen
Sandstrand entstehen kann, wie noch unlängst T immermannsan Modellversuchen nachwies.“
Timmermanns hat durch Wellen strandnahe Sandriffe erzeugt, aber keine, tieferes
Wasser abtrennenden Lidi. Bevor die natürliche und künstliche Verlandung der Niederlande ein
trat, lag aber eine breites Gewässer oder Watt zwischen den Dünen und der oude Kust (alten
Küste)! Die gleiche Verquickung der Begriffe Strandwall und Lido zeigt auch S. 130 in v a n
V e e n ’ s Aufsatz.
Einen ganz ähnlichen Kampf mit den Begriffen finden wir in 0. M a u 11 ’ s Geomorphologie.
Dort lesen wir auf S. 389: „G. Braun hat die an sich berechtigte scharfe Scheidung zwischen dem
aus einem Sandriff entstehenden „freien Sandwall“ oder „Lido“, hinter dem er eine „Lagune“
ansetzt, und der Nehrung vollzogen, damit aber eigentlich einer terminologischen Unsicherheit Vor
schub geleistet. Denn der namengebende Lido von Venedig ist eine dünenbesetzte Nehrung, und die
dahinter liegende „Lagune“ ist ein Haff ... Es wäre entschieden weit schwerer, die langausgerich
teten venezianischen Nehrungen aus lokalen Sandriffen erklären zu wollen als sie als einfache Neh
rungen aufzufassen. Hanne mann 1928 geht freilich zu weit, wenn er sich das Auftauchen von
Sandriffen über Wasser nicht vorstellen kann und damit solche IJberwassersandriffe überhaupt be
zweifelt. Es gibt solche zur Genüge, wenn auch der Vorgang ihrer Bildung noch im Dunkeln liegen
mag. Das vor den Dithmarschen gelegene Trischen ist z. B. ein solches Sandriff, dessen Entwicklung
fast unter den Augen der Lebenden abgelaufen ist.“
Auf S. 391 schreibt M a u 11 weiterhin: „Verwickelter liegen die Verhältnisse an der Nordsee,
wo der an der holländischen Küste geschlossen hinstreichende Dünensaum sich ostwärts in die frie
sischen Inseln auf löst und lange, seitdem ihn A. P e n c k als „zerbrochene Nehrung“ bezeichnet hat,
als entstanden aus einer einheitlichen Nehrung von der Art der preußischen auf gef aßt ivorden ist.
Philippson vertritt noch diese Meinung. Doch dafür gibt es, wie B ehr m an n zeigt, keine