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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 61. Band, Nr. 10
Langsam bildet sich im Seebereich zwischen Sardinien und Sizilien eine Depression aus, die am
1. Februar, 14 Uhr, im Kern ein Minimum von 1000 mb (Karte 45), um 19 Uhr von 995 mb (Karte 46), am
2. Februar, 2 Uhr, von 990 mb, schließlich um 8 Uhr von 985 mb aufweist (Karte 47). Hiermit ist der Höhe
punkt des Tiefs erreicht; Nebendepressionen liegen westlich von Korsika und im südöstlichen Teil des
Tyrrhenischen Meeres. Die Ostwinde über Italien und im Bereich des Adriatischen Meeres sind schwach bis
mäßig, nur Ponza meldet Ost 7. Die kontinentale Kaltluft bricht also nicht mit derartig großer Gewalt über
Adria und Tyrrhenischem Meer ein wie am 10. und 11. April 1938. Trotz eines um 8 Uhr über der Straße von
Pantelleria liegenden Fallgebietes zieht die Depression unter Auffüllung nach Osten. Am 2. Februar, 19 Uhr,
befindet sie sich etwas nordwestlich von Messina (Karte 48), am 3. Februar morgens ist sie nach dem Ionischen
Meer abgewandert (Karte 49).
Die Voraussetzungen für die Ausbildung von Depressionen
über dem Tyrrhenischen Meer.
Wenn man die zuletzt besprochenen Fälle mit der Wetterlage vom 10./11. April 1938 vergleicht, fällt
auf, daß niemals, abgesehen von der Aprillage 1938, starke nordöstliche Fallwinde am Nordostrand des
Tyrrhenischen Meeres entstehen. Den Ausfall dieser so bemerkenswerten Stürme trotz des Vorhandenseins
einer Depression über dem Tyrrhenischen Meer allein mit der Temperaturverteilung zu begründen, ist un
möglich. Denn am 1. Februar 1937 ist es über dem Balkan am Boden absolut und relativ bedeutend kälter als
am 10. April 1938, wenn man die Temperaturen mit denen über Südostfrankreich vergleicht. Man wird also
versuchen müssen, andere Besonderheiten in der Großwetterlage zu finden, um mit ihnen die notwendigen
Voraussetzungen zur Entstehung einer Lage über Italien wie am 10./11. April 1938 darzulegen.
Es ist bereits festgestellt worden, daß die häufigste Art einer Tiefbildung im Süden der Alpen die Aus
bildung einer Zyklone über dem Golf von Genua darstellt. Bei diesen Wetterlagen strömt die Kaltluft aus
Westen bis Nordwesten heran. Etwa um die Zeit des Höhepunktes der Entwicklung beginnt eine solche De
pression nach Osten oder Südosten abzuziehen, wobei die Richtung des Abwanderns von der Temperatur
verteilung über Südeuropa, insbesondere von dem Wärmeunterschied zwischen Südostfrankreich und dem
Balkan abhängig sein mag. Es kommt nicht selten vor, daß ein Genuatief über das Tyrrhenische Meer hin
wegzieht; starke Nordostwinde können dabei im allgemeinen zwischen Rom und Neapel nicht entstehen, weil
fast immer ein Nebentief über dem nördlichen Teil der Adria liegt. Wenn also überhaupt starke Luftdruck
unterschiede über dem italienischen Festland entstehen sollen, so nur, wenn die Störung über dem Adriatischen
Meer durch heftig herbeigeführte Kaltluft zum Versdrwinden gebracht werden kann. Kaltluft über der Adria
ist nach obigen Ausführungen auch notwendig, um überhaupt ein (zunächst festliegendes) Tief über dem
Tyrrhenischen Meer zu erzeugen.
Es scheiden also für die Ausbildung eines Sturmtiefs ähnlich dem am 10.711. April 1938 alle die Wetter
lagen aus, bei denen es an Kaltluft über Jugoslavien mangelt, außerdem solche Fälle, bei denen die Kaltluft
über dem Balkan durch südliche Gradienten in der Luftdruckverteilung am Einbrechen über die Adria ge
hindert wird.
Eine Lage, bei der sowohl Kaltluft über dem Balkan liegt als auch der Isobarenverlauf einem Kaltluft
einbruch in die Adria nicht widerspricht, zeigt die Wetterkarte vom 2. Februar 1937. Trotzdem gibt es auch
hierbei keinen Nordoststurm auf der Südwestseite der Apenninen. Der Unterschied zu der Wetterlage am
10. April liegt in folgendem: In den fraglichen Apriltagen 1938 befindet sich eine ausgedehnte Antizyklone
über Westeuropa. Die durch das Rhönetal nach Süden fließende Luftmasse hat infolge des Absink-Einflusses
den Charakter frischer Kaltluft verloren.
Die nördlichen Luftdruckgradienten über Deutschland lassen es zu, daß der Hauptschwall der beiden
Kaltluftmassen das östliche Ende der Alpen umströmt und anschließend über Jugoslavien, der Adria und
Oberitalien einbridit.
Vom 9. bis 11. April 1938 kommt es deshalb im ganzen zu einer doppelten Tiefbildung über dem
Tyrrhenischen Meer: „Lee-Effekte“ durch das Anströmen der Kaltluft: 1. gegen die Alpen von Norden,
2. gegen die Apenninen von Nordosten.
In den Fällen aber, in denen auch am westlichen Ende der Alpen Kaltluft in stärkerem Maße zugeführt
wird und durch das Rhönetal ins Mittelmeer fließt, pflegt sich ein kräftigeres Tief über dem Golf von Genua
zu bilden, wodurch Luftdruckgradienten entstehen, die dem Einbruch der Balkan-Kaltluft zuwiderlaufen;