Gerhard Neumann: Eigenschwingungen der Ostsee
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Es muß noch darauf hingewiesen werden, daß in Abb. 2 als Klassenintervall bei den Perioden eine halbe
Stunde gewählt ist und bei der Häufigkeitsverteilung in Tabelle 1 die Periodenwerte von Stunde zu Stunde
angegeben sind. Beide Darstellungen sind also nicht streng miteinander vergleichbar, und bis zu einem gewissen
Grade müssen die Unterschiede in der Häufigkeit auf die verschiedene Weise der Zusammenfassung der Perioden
zurückgeführt werden. Auf die Modellversuche von D-u bow (12) und auf die von ihm gegebene Deutung
der Perioden, die er beim Studium der Mareogramme von Ust-Luga (ein Teil der Jahre 1928 und 1929), Lenin
grad— Port (1923) und Oranienbaum (ein Teil des Jahres 1930) gewonnen hat, werden wir später noch zu
rückkommen.
Wir müssen damit rechnen, daß die Periodenwerte der Ostsee starke Schwankungen aufweisen, die wohl
zum Teil auf eine Änderung der Abgrenzung des Schwingungsbeckens gegen die Beltsee zurückgeführt werden
können. Es ist dies durchaus nicht verwunderlich, denn selbst bei gut begrenzten Schwingungsbecken kann ein
solches Fluktuieren der Perioden beobachtet werden; unter anderem sind auch bei den „klassisch" gewordenen
Seiches des Genfer Sees, die von F o r e 1 (17) sehr ausgiebig studiert wurden, Schwankungen der Periodenlängen
um einen mittleren Wert bekannt. Wenn wir die Perioden von 26,75 Stunden bis 28,25 Stunden zu einer
Schwingung zusammenfassen und daraus den Mittelwert bestimmen, erhalten wir bei Koivisto eine Schwin
gungsdauer von 27,54 Stunden und bei Ystad eine solche von 27,59 Stunden. Diese unabhängig voneinander
bestimmten Periodenwerte stimmen gut überein, und wir werden sicher nicht fehlgehen, wenn wir in der
Periode von etwa 27,6 Stunden eine Eigenschwingungsperiode des Ostseebeckens vermuten. Daneben macht
sich im Finnischen Meerbusen ebenso wie in der westlichen Ostsee noch eine Periode von etwa 26 Stunden
bemerkbar.
Wie schon eingangs betont wurde, läßt sich mit Sicherheit nur dann eine Schwingung als Eigenschwingung
eines Wasserbeckens nachweisen, wenn man simultane Schwingungsvorgänge an mehreren gut verteilten
Pu tkten der Küste miteinander vergleichen kann. Die Phasenbeziehungen und Amplituden lassen dann er
kennen, ob man es mit ein- oder mehrknotigen freien Schwingungen zu tun hat, oder um welche periodischen
Wasserstandsschwankungen es sich sonst handeln kann. Man wird bei einer solchen Untersuchungsmethode
nicht in den Fehler verfallen, eine an nur einem Ort beobachtete Periode als ein- oder mehrknotige Schwingung
anzusehen, nur weil sie mit der theoretisch berechneten Periode in Übereinstimmung gebracht werden kann.
Im folgenden werden zunächst einige Beispiele für Eigenschwingungen gebracht, die geeignet sind, erst
malig die Existenz freier Wellen in der Ostsee vor Augen zu führen.
1. Die Schwingung vom 10. bis 15. Dezember 1932 (Abb. 3).
Dieser Schwingungsfall könnte beinahe als ideales Beispiel für eine stark gedämpfte Schwingung bezeichnet
werden. In Koivisto wird am 11. Dezember 8 Uhr (MGZ) ein Minimum des Wasserstandes erreicht. Bis
20 Uhr steigt dann das Wasser wieder um 86 cm und erreicht zu dieser Zeit ein absolutes Maximum. In den
darauffolgenden Tagen sind die Wasserstandsschwankungen in Koivisto und bei den anderen Stationen durch
ein gleichmäßiges periodisches Heben undSenken desWasserspiegels gekennzeichnet. Die Schwingung klingt rasch,
aber ziemlich gleichmäßig ab, kann jedoch bis zum 15. Dezember verfolgt werden. Die Periode dieser Schwingung
berechnet man aus dem Zeitunterschied zwischen dem ersten und dem letzten Maximum und der Anzahl da
zwischen liegender Maximalwerte zu T = 27,3 Stunden. Besonders auffallend ist die große Amplitude *), mit
der diese Schwingung einsetzt. Vom 11. Dezember 20 Uhr bis 12. Dezember 9 Uhr sinkt der Wasserstand um
1(4 cm und steigt dann bis zum 12. Dezember 23 Uhr wieder um 75 cm an. Mit Annäherung an das mittlere
Ostseebecken nehmen die Amplituden schnell ab, und bei Hangö und Domesnäs sind die Wasserstandsschwan
kungen auf etwa % bis Vt, des Betrages bei Koivisto gesunken. In Landsort ist die Amplitude noch wesentlich
geringer als in Hangö. Wenn wir von kleineren Phasenverschiebungen absehen, die auf erzwungene Quer
schwingungen zurückgeführt werden können, sind die Schwingungen in Landsort invers zu denen im
Finnischen Meerbusen. In Libau sind die Wasserstandsschwankungen völlig verschwunden, und im südwest
lichen Teil der Ostsee steigen die Amplituden wieder allmählich bis Gjedser an. Bemerkenswert ist, daß von
Gjedser bis Marienleuchtc auf Fehmarn die Amplituden nicht mehr zunehmen, sondern eher noch kleiner
werden. Es ist dies eine sehr wichtige Tatsadie, auf die wir später noch zurückkommen müssen.
*) Als Amplitude wird die größte Abweichung der Schwingung von der Gleichgewichtslage bezeichnet und unter Hubhöhe
ist der doppelte Betrag der Amplitude (Doppelamplitude) zu verstehen.