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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums. — 61. Band. Nr. 2.
Einleitung.
WasserStandsbeobachtungen und -Untersuchungen der Ostsee sind keine Errungenschaften
der sich entwickelnden Meereskunde. Sie werden bis in die neueste Zeit bevorzugt von Nicht-
ozeanographen durchgeführt: Die Bautechnik, insbesondere der Hafenbau, die Geographie zur
Beschreibung des Landsdiaftsbildes, die Landesvermessung wegen der Konstanz ihrer Höhen
festpunkte, die Schiffahrt mit den „Schiffahrtspegeln“ — sie alle befassen sich mit Wasser
standsbeobachtungen. Dagegen ist z. B. die Neigung der Ostseeoberfläche als Folge des Dichte
aufbaues und der Strömungen in systematischer Weise nur von den Finnen diskutiert worden,
wenn auch Ansätze von deutscher Seite vorliegen.
Infolgedessen waren in der Methode der Wasserstandsbeobachtungen, in Geräten und in
der Anlage der Stationen andere als ozeanographische Gesichtspunkte maßgebend. Es ist nicht
uninteressant, dieser Entwicklung nachzugehen, zumal in zwei Epochen geophysikalischer For
schung Wasserstände der Ostsee eine bedeutende Rolle gespielt haben. Zur Zeit der großen
naturwissenschaftlichen Entdeckungen regte die Frage der Landhebung der schwedischen Ost
seeküste — Strandverschiebung — die gesamte Kulturwelt zu lebhaften Erörterungen an, und
als sichtbares Zeichen dieses Interesses ist die Gründung eines Netzes von Lattenpegelstationen
zu nennen. Mehrere Jahrzehnte später wurde von geodätischer Seite die Frage: Meeresober
fläche und Geoidfläche zur Diskussion gestellt, ein Problem, dessen Behandlung genaue
Wasserstandsangaben erforderte, die nur Schreibpegel zu liefern in der Lage waren. Aus jener
Zeit stammen die Mareographen des Geodätischen Instituts, die bis zur Errichtung des Kriegs
marinepegelnetzes, von dem in vorliegender Arbeit gesprochen werden soll, die einzigen Re
gistrierungen des Wasserstandes an der deutschen Ostseeküste lieferten.
Yon einem Sinken der Ostsee wurde wohl zum ersten Male 1625 in einem finnischen Lehr
buch gesprochen, aber erst Celsius (1743) und Linné sahen in diesem Phänomen einen
Gegenstand physikalischer Forschung. Sie behaupteten, es fände ein allgemeiner Rückzug der
Meere statt und wollten ihre Gegner dadurch überzeugen, daß sie an möglichst vielen Stellen
die vermeintliche Abnahme der Wassermasse nachzuweisen versuchten. Zu diesem Zwecke
brachten sie Marken in der augenblicklichen Höhe des Wasser Standes an, um späteren Gene
rationen eine quantitative Feststellung zu ermöglichen. Dagegen wurde sehr bald der Einwand
laut, daß die Marken vom zufällig vorhandenen Wasserstand beeinflußt seien. Um ein „Mittel
wasser“ bestimmen zu können, gründete deshalb Axel Erdmann 1852 das erste Stationsnetz
von 13 Lattenpegeln an der schwedischen Küste 1 ). Nachdem Forsman eine vierundzwanzig-
jährige Reihe von Pegelbeobaditungen bearbeitet hatte, wurde das schwedische Netz wieder
aufgegeben, nicht zuletzt deshalb, weil die Frage des „Nullpunktes“ und seiner Konstanz zu
Kritik Anlaß gab, denn ein I,attenpegel kann nur dann ein Maßstab zur Bestimmung der
Küstenhebung und -Senkung sein, wenn sein Nullpunkt eindeutig festliegt. Nach der Güte des
„Pegelfestpunktes“ muß der Wert der Wasserstandsbeobachtungen für Fragen der Küsten
hebung beurteilt werden; und gerade in dieser Hinsicht konnten die alten Lattenpegel nicht
befriedigen. Von deutscher Seite wandte sich Seibt mit seinen Untersuchungen über die
Wasserstände von Swinemiinde 1881 dem Festpunktproblem zu, das in der Gegenwart durch
die vom Reichsverkehrs- und Landwirtschaftsminister gemeinsam erlassene Pegelvorschrift als
gelöst angesehen werden kann.
Die ursprünglich aufgeworfene Frage der Landhebung, die die Gelehrten aller Fakultäten
der damaligen Zeit auf den Plan rief, ließ sich der eben geschilderten Umstände wegen durch
exakte Bestimmungen nicht von heute auf morgen beantworten. Das Beobachtungsmaterial
i) I n dem Zusammenhang soll erwähnt werden, daß vereinzelt schon früher Lattenpegel errichtet wurden, so in
Pillau im Jahre 1816, ohne daß es allerdings zur Bildung eines Netzes von Pegelstationen kam.