Josef Marner: Die klimatischen Bedingungen für die Siedlung von Nordeuropäern in den Tropen.
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I. Einleitung.
Die Akklimatisationsfähigkeit des Menschen unserer Breiten an die Tropen soll sich wesentlich von der
des Südeuropäers unterscheiden 1 ). Die folgenden Untersuchungen beschränken sich auf den Nordeuropäer
und versuchen an dem Beispiel von Deutsch-Ostafrika die durch das Klima dieses Landes gegebenen Mög
lichkeiten für eine Dauersiedlung in den Tropen darzulegen.
Die Angaben und Urteile über die Wirkungen des tropischen Klimas auf den Europäer Stößen sich seit
Generationen auf Erfahrungen, die aus Siedlungsversuchen gewonnen sind. Die Zahl der Opfer, die solche
Ansiedlungen gefordert haben, ist groß. Das Scheitern der Siedlungsversuche wurde zumeist auf die Aus
wirkungen des Klimas zurückgeführt, und das Gefühl der Wehrlosigkeit gegenüber den Tücken des Klimas
beherrschte die Urteilsbildung.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschoben die erstaunlichen Erfolge der Tropen
bakteriologie die Frage nach der Siedlungsmöglichkeit mehr und mehr auf das Gebiet der Medizin und
Hygiene. Man erkannte, daß die angeblich schädliche Wirkung des tropischen Klimas zu einem großen Teil
in akuten oder chronischen, in den Tropen verbreiteten und erworbenen Krankheiten zu suchen wäre. Die
akute und prophylaktische Therapie konnte mit Hilfe synthetischer Präparate große Erfolge in der Be
kämpfung der Infektionskrankheiten erzielen. Manchenorts ist es sogar gelungen, Tropenkrankheiten voll
ständig auszurotten. Der Weg, der hierbei beschritten worden ist, zielt darauf hin, den Entwicklungskreis
des Krankheitserregers im Menschen oder in anderen Trägern zu unterbrechen. Die Malaria, die verbreitetste
Tropenkrankheit, kann z. B. verschwinden, wenn stehende Pfüßen und Tümpel zugeschüttet werden. Gebiete,
die einst für den Europäer als klimatisch unerträglich galten, sind heute saniert, z. B. Rio de Janeiro und
die Panama-Kanalzone 2 ).
Sicher wird man die Seuchen immer weiter zurückdrängen, die großen Niederlassungen und tropischen
Städte werden mehr und mehr gesicherte Wohnpläße für den Europäer werden. Ob es allerdings gelingen
wird, alle tropischen Infektionskrankheiten vollständig auszurotten, wird vielfach stark bezweifelt. Besondere
morphologische, klimatische und soziologische Verhältnisse lassen nämlich die Sanierungsmethoden nicht
überall zum Ziel führen. Den Eingeborenen können die Bekämpfungsmaßnahmen nur zum Teil erfassen;
die Herde des Erregers werden nicht vollständig vernichtet, weil der Mensch durch Bewässerungsanlagen,
Kanäle oder Fäkalien künstlich neue Herde schafft. Das Beispiel der gelungenen Kolonisation in Nord-
Queensland zeigt aber auch, daß zur Schaffung gesunder Verhältnisse schon eine Eindämmung der tropischen
Krankheiten genügt, und ihre vollständige Ausrottung nicht einmal erforderlich ist.
Auf Grund der Erfolge in der Bekämpfung der Tropenkrankheiten ist geltend gemacht worden, daß
dem Europäer in den Tropen jeßt nur noch Schwierigkeiten durch rein klimatische Einflüsse erwachsen
würden. Aber außer den Tropenkrankheiten und dem Klima stellen noch weitere Momente erhebliche An
forderungen an das Anpassungsvermögen des Europäers: Er muß in fremder Umgebung, getrennt von der
Heimat, innerhalb rassefremder Völker leben. Ernährung, Kleidung und Wohnweise müssen gegebenenfalls
völlig geändert werden. Die Befriedigung der bisher gewohnten alltäglichen Lebensbedürfnisse ist erschwert,
und nicht zu Unterschüßen ist auch die wirtschaftlich bedingte seelische Belastung in den Tropen, der
auch der härteste Mensch, wenigstens zeitweilig, erliegen kann. Gerade diesen Faktoren ist nächst den
Tropenkrankheiten die größte Bedeutung zuzumessen. Das beweist die Stellungnahme von Carius 3 ) und
Jäger 4 ) zu der Frage, ob in Nord-Queensland eine vollständige Akklimatisation gelungen sei. Besondere
*) Nr. 5, S. 227. (Die Zahlen im Text verweisen auf das Schrifttum in Abschnitt IV.)
2 ) Über Methoden berichten u. a. M. B. B a r b e r, J. B. Rice und J. Y. Brown: „Malaria Studies on the Firestone
Rubber Plantation in Liberia, Westafrica“ (Americ. Journal Hyg. Bd. XV, 1932, S. 301 ff.) und F. Z u m p t : „Stechmücken
studien im Pflanzungsgebiet des Kamerunberges“ (Der Tropenpflanzer 1937, S. 366 ff.).
3 ) Nr. 7, S. 221 ff. *) Nr. 8, S. 318.