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Joachim Blü tilgen: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbriidie in Europa.
ratur und im mittleren Gange vieler meteorologisclier Elemente spüren, sondern dessen Be
deutung für die Dynamik des Winters, insbesondere für die Bewegungen der Kaltluft, in gleicher
weise hervorzuheben ist.
In der außerordentlichen Häufung von NW-KE in Island, mit großer Variabilität der Einzel
elemente, erkennen wir die Rückseite des Tiefdrucktroges, die nur durdh die jahreszeitlich ver
schiedene Nähe des Kaltluftquellgebietes einem Rhythmus unterliegt, welcher sich namentlich
in den Temperaturmittelwerten wiederspiegelt. Die Struktur der Kaltluftzufuhr bleibt jedoch
das ganze Jahr über gleich, sofern wir zunächst den äußersten Nordwesten Europas im Auge
behalten. Die Ausbildung der einzelnen Wirbel innerhalb des Tiefdrncktroges bringt es mit sich,
daß ein Teil der Rückseiienvorstöße den Trog durchstößt und gegen das mitteleuropäische Fest
land vordringt. Gegenüber denen Islands sind es aber weit weniger. Diese Tatsache heraus
zustellen, ist wesentlich. Da andererseits kontinentale Kaltluft nur höchst selten in umgekehrter
Richtung vom Kontinent gegen die Britischen Inseln vordringt, ergibt sich daraus auch hier
durch für diesen Teil des atlantischen Europa die kennzeichnende Milde der Winter. Insbesondere
liegt Irland clen in Betracht kommenden Kaltluftquellen am meisten entrückt. Die bevorzugte
Lage eines Hochdruckkeiles über Irland vom Azorenhoch her schafft nur einen geringen Aus
gleich. indem dadurch gewisse Ausstrahlungsmöglichkeiten im Innern cler Insel geboten sind.
Das nach Westen und Osten geöffnete Mitteleuropa bietet im Hinblick auf die Kaltluft-
einbrüche des Winters ein außergewöhnlich vielseitiges Bild. Zwar gehen die Veränderungen
hier wie über dem ganzen Festlande ruhiger vonstatten, dafür aber haben wir eine Typen
vielfalt, welche clem Klimatologen immer neue Erlebensmöglichkeiten und Anregungen schafft.
Die Kammerung des inneren Mitteleuropa trägt das übrige in dieser Hinsicht bei; aber sie be
deutet doch bei dem physikalischen Verhalten der Kaltluft gegenüber der Warmluft im Ge
samthaushalt gesehen eine Erhaltungs- und sogar Neubildungstendenz cler Kaltluft. Mittel
europa ist daher trotz seiner Entfernung vom Polargebiet nicht nur Durchgangsgebiet für Kälte
einbrüche (wie z. B. die USA in hohem Grade), sondern in größerem Maßstabe auch selbstän
diges Nährgebiet.
Die Vielfalt der Kaltluft in Mitteleuropa nimmt nach Osten hin rascher ab als nach Norden.
Die küstenfernen und zyklonenfernen Teile Osteuropas gleichen nicht nur die KE-Typen unter
einander aus, sondern auch die anderen Winterbestandteile, die Wärmevorstöße, werden diesem
Ausgleich auf mittlerer, strahlungsbedingter Linie zugeführt.
Nordeuropa dagegen erhält die Prägung seines Winters durch drei Dinge: die polwärtige
Lage, die kontinentale Erstreckung im Schutze desKjöl und die Nähe (im Süden sogar Öffnung)
zur Vorderseite des Tiefdrucktroges. Die ersten beiden Eigenheiten sind kaltluftfördernd, die
letztere hemmend. Infolge seiner Erstreckung aus mittleren in polare Breiten interferieren
hier gemäßigter und polarer Strahlungsgang mit allen ihren Folgen für die Klimagestaltung.
Da cler polare Strahlungsgang namentlidi im Frühjahr dem gemäßigten nachhinkt, wird da-
durdi ein Aufeinanderprallen cles beginnenden gemäßigten Sommers und des weichenden
polaren Winters in clen Frühjahrsmonaten bewirkt. Ohne die Schutzmauer des Kjöl, der zu
gleich hier wie eine Leitlinie wirkt, würden die Frühjahrsgegensätze, welche auch bei uns ihren
fühlbaren und vollkommen zwangsläufigen Ausdruck in dem bekannten Aprilwettertyp haben,
weit weniger scharf sein. Der Kjöl leitet die polare Kaltluft nach Süden und schützt sie vor
Vermischung mit milder Atlantikluft.
Im Hochwinter leistet Nordeuropa dagegen nicht dem polaren, sondern dem osteuropäisch-
kontinentalen Einfluß, der im Nordostraum sdion deutlich ausgeprägt ist. Vorsdiub, ja, es trägt
durch eine Abdrängung der atlantischen Warmluftströme in die Arktis zu deren verspäteter
Abkühlung in diesem Sektor selbst bei. In der zur Hochwinterzeit vor sich gehenden intensiven
Kaltluftbildung in Nordeuropa selbst wird ein Block geschaffen, cler eher nach Osteuropa hin
Verbindung zu gleichen Aktionszentren hat als nach dem Polargebiet. Allerdings dürfen wir
diese Verbindung nicht so intensiv auf fassen, als ob nun durch einen nordeuropäischen Kalt
luftblock schon ein Transport von Eismeerkaltluft aus der Gegend des Karischen Meeres und
der Obmiindung nach Rußland und Mitteleuropa allein bewerkstelligt werden könnte. Das be