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Joachim Blüthgeii: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbrüdie in Europa.
Der NW-KE vom 6. November 1927 brachte am ersten Tage zufolge eines starken Gradienten Island — Stidnor-
weg-en in Island durchweg Frost. Die Temperatur sank bei nordwestlichen Winden um 5° bei hoher Windstärke und
Schneefällen. Selbst in Schottland (Station Renfrew) wurde am gleichen Tage noch ein Temperatursturz von 10° ge
messen , der rein advektiv zustande gekommen war, denn der Himmel war bedeckt. Die Lage änderte sich im großen
und ganzen nicht sehr, so daß auch in den folgenden Tagen die Kaltluft mit tieferen Temperaturen als relativ schmale
Zunge in Osteng’land erkennbar war, die sieb nach dem Festland ausbreitete, weil sich auch das Depressionszentrum
auf den Kontinent und die Ostsee zu bewegte. Trotzdem gewann der Kaltluftstrom nach Westen zu nicht an Raum,
wie Fig. 75 zeigt. Die Morgentemperaturen lagen in Ostengland bei + 1 bis 2°, Die Verbindung über Island reißt erst
am II. November endgültig ab, nachdem sie schon am 8. einmal kurzfristig über Island von Westen her eingedrückt
worden war. Gegen Ende der Periode nahm das Hoch westlidr Irlands an Intensität zu, während zu Beginn des KE
der hohe Druck bei Island lag. In Ostengland herrschten hauptsächlich Nordwestwinde, die also das schottische Berg
land gequert haben mußten. Über Irland herrschten gleichzeitig anhaltend mildere Temperaturen. Damit ist an
diesem Beispiel zweierlei belegt, einmal die größere Häufigkeit milderer Temperaturen in dem stärker nach SW ge
legenen Irland, zuin andern der abkühlende Effekt der Gebirge Englands für den Osten. Mit dem Übertritt der
NW-Kaltluft auf das Festland war dann das Ende des KE gekommen, indem dadurch die Verbindung mit Island
nicht mehr aufrechterhalten werden konnte und auch die aufs Festland gelangte Kaltluft rasch verändert wurde.
Das Beispiel zeigt also auch, daß die Abgrenzung des Nordwestraumes etwa dem Bereich entspricht, in dem ein
NW-KE maximal nodi ununterbrochen herrschen kann. Sobald er darüber hinaus vorstößt, pflegt sein Nachschub
abzureißen. Es ließen sich noch viele Fälle aus dem Material lierfür anfüliren.
Wir ersehen, daß die Britischen Inseln gewissermaßen einen Stützpunkt
vor dringender maritimer Polarluft bilden. Zur Bildung eines eigenen Kaltluft
kissens nennenswerter Ausdehnung fehlen jedoch die Voraussetzungen. England liegt dafür den
Zyklonenbahnen zu nahe, ist ferner nicht ausgedehnt genug und schließt nicht unmittelbar an
einen kalten Festlandteil an. seine Gebirge sind auch nicht zusammenhängend und hoch genug,
um genügend Schutz vor der Zerstörung durch anclrängende Warmluft zu bieten. Schließlich
kommt noch der Gesichtspunkt des Strahlungshaushalts hinzu, indem England nicht nördlich
genug liegt und die nächtliche Ausstrahlungswirkung beschränkt bleiben muß.
Südwestnorwegen wird von NW-KE nur gestreift; nur etwa gut die Hälfte der in Ost
england gezählten ist auch an der Küste Südwestnorwegens nachweisbar. Allerdings sind da
einige mitgezählt, die Ostengland gar nicht berühren, sondern infolge besonderer Luftdruck
bedingungen lediglich bis an die südwestnorwegische Küste gelaugt sind; aber das sind Aus
nahmen. Immerhin treten in Südwestnorwegen noch fast doppelt so viel NW-KE auf wie in
Irland. Das ist insofern eine nicht geringe Zahl, als die Temperaturen in Gefrierpunktsnähe bei
NW-KE hier ja nur advektiven Ursprungs sein können, da nach Norden und Westen weites
Meeresgebiet vorgelagert ist; in Irland dagegen wäre Strahlungsfrost eher möglich, was die Be
dingungen der Unterlage betrifft. Das bedeutet also, daß die ohnehin selteneren NW-KE-Fälle
in Irland vielfach erst durch mittelbare Wirkung (Aufheiterung und Strahlungsfrost) zur Gel
tung kommen.
War bisher nur die Rede von der polarmaritimen Kaltluft des Nordwestraumes, so muß zur
Zeit des Hoch winters noch der Kaltluftzufuhr vom Kontinent he r gedacht werden.
Sie erfaßt England fast ausschließlich hei NO-Lagen oder den von diesen abgezweigten C-KE.
Im letzteren Falle sind dann Südfrankreich und Oberitalien ebenfalls betroffen. Die Kalt
luftvorstöße aus NO, zumal die des März, werden in England als typische
K-ältewellen empfunden (Douglas, 1939 (a), 1929). Sie bringen bei starker Bewölkung
anhaltenden Advektivfrost, der unangenehm empfunden wird. Frost, der nicht nur nachts,
sondern auch fortlaufend tagsüber herrscht, ist ja eine Seltenheit in England. Allerdings treten
hierbei extreme Minima meist nicht auf (vgl. Kendrew, 1930. S.280—283). Zwar kommen ähnliche
Fröste hei maritimer Polarluft durchaus nicht selten vor. aber dann nur in Verbindung mit
nächtlichem Aufklaren und kurzfristig. Die Möglichkeiten zu den für England tiefsten Tempe
raturen im Flachlande sind sogar namentlich bei NW-Lagen gegeben. Die Öffentlichkeit ist aber
auf längeren Frost, und seien es auch nur drei Eistage, nicht eingestellt. Die Erwärmungsmögiich-
keit und Abdichtung der englischen Durehschnittswohnungen ist vielfach vernachlässigt, weil es
meist nicht nötig ist, dafür sorgen zu müssen; der Brennstoffhandel ist nicht auf einen plötzlich
anschwellenden Bedarf vorbereitet. So konnte eine nach unseren mitteleuropäischen Erfahrungen
bescheidene Kältewelle von minimal — 5° Tagesmittel in Südostengland, wie der Fall Mitte De
zember 1938 eintrat, beachtliche wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen, wie aus Pressemeldungen