Joachim Blüthgen: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbrüdie in Europa. 113
Strahlungsvoraussetzungen zu dem bekannten Temperaturtiefstwert dieses Monats. Diese Pa
rallelität ist die nächstliegende Beziehung, die wir zwischen Kollektivmittel und Verteilung der
KE-Typen von vornherein anzunehmen geneigt sind und auch mannigfach belegen können. Sie
wird jedoch überlagert von einer im einzelnen nicht bemerkbaren, aber in längeren Zeiträumen
feststellbaren Unabhängigkeit, ja sogar Gegenläufigkeit von Kaltlufteinbrüchen und Mittel
temperatur. Am deutlichsten hat dies Scherhag (1936 [a], S. 98 und 99) gezeigt: Bei mehrtägigem
Nordoststurm im Januar über Spitzbergen sank die Temperatur nur auf ganze — 7° und lag
damit noch volle 10° über dem langjährigen Mittel. Trotzdem ferner „über Mitteleuropa eine
verstärkte Häufigkeit nordöstlicher Winde eingetreten ist, ist hier die Temperatur noch über
normal, und diese Tatsache beleuchtet wohl am besten die Milderung der europäischen
Winter, ein Problem, das mit der erhöhten Zirkulation zusammenhängt“. Wir berühren
damit die Frage muh den säkularen Schwankungen der Temperatur (vgl. Blüthgen.
1940 [c]) und ihrer Wiederspiegelung in der KE-Statistik. Das besagt also in unserem Zusam
menhänge, daß die Zahl der NO-KE, die angewachsen ist, nicht wie zu erwarten eine zu niedrige,
sondern fortgesetzt eine zu hohe Mitteltemperatur bewirkt. Da, wie Scherhag betont, die
Mitteltemperatur nur in Südosteuropa etwas tiefer liegt als früher, bedeuten also gerade
die Siiclostströme über Mitteleuropa eine nach wie vor recht scharfe Temperaturerniedrigung.
Wir stellen also fest: nicht allein die Häufigkeit der einzelnen KE-Typen reguliert den Kollektiv
mittelwert der Temperatur, sondern darüber hinaus ist das Spezialmittel der einzelnen KE-
Typen nicht konstant geblieben. Daß besonders die NO-KE weniger kalt sind als in früheren
Jahrzehnten, deutet zudem vielleicht auf eine stärkere Beteiligung von Polarluft gegenüber
reiner Kontinentalluft hin, denn erstere ist durch die verstärkte Advektion von Warmluft in
die Polargebiete und die Verdrängung der Eisgrenze positiv beeinflußt, letztere jedoch durch
die Strahlungsbedingungen, die im Mittel weit geringeren Schwankungen unterworfen sind.
Interessant ist in diesem Sinne die Feststellung von Rubashev (1940), daß eine Zunahme der
Sonnenaktivität mit einer Zunahme der Arktisluftvorstöße über Rußland einhergeht.
Auf den Zusammenhang zwischen Monatskollektivmittel und Luftkör
perhäufigkeit weist in der Literatur z. B. Di nies für Frankfurt (1933) und Sieger
(1936) für den Harz hin.
PM-Luft bewirkt besonders im Mai eine starke Abkühlung gegenüber dem Kollektivmittel.
Dies ist auf die Häufigkeit der aus dem dann noch sehr kühlen Polarbecken über Island bzw.
Nordeuropa zugeführten Kaltluftmassen zurückzuführen. Insbesondere sind es die polar
arktischen NO-KE (also PC-Luftkörper) nach der L i n k e - Skala), die über Mitteleuropa gegen
Ende des Winters bei günstigen Strahlungsbedingungen oft eine zum kollektiven Mittwinter
höchst exzentrische Lage der Minima bewirken. So schreibt W. Naegler (1933, S. 170) z. B.
gelegentlich einer Besprechung des sehr milden, aber wechselhaften Winters 1934/35 zum Thema
der Exzentrizität der Tiefsttemperaturen folgendes:
„Es ist eine auffallende Tatsache, daß die absolut tiefsten Kältegrade eines Winters meist nicht in den Januar,
als den durchschnittlich kältesten Monat, fallen, sondern mit Vorliebe in den Dezember oder Februar. Dali
sie aber erst im März beobachtet werden, kommt ziemlich selten vor ... Daß bereits der N o v e m 1) e r den tiefsten
Kältegrad des ganzen Winters aufbringt, ist ein nodr seltenerer Fall...“
Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß diese Minima in Dresden sämtlich bei NO- oder
C-Luft auftreten sind, da diese die stärkste negative Abweichung vom Kollektivmittel mit sich
bringen.
Die Temperatur der KE-Typen bleibt, worauf wir mehrfach hinwiesen, im Laufe des Win
ters selbstverständlich nicht konstant. Das Kollektivmittel zeigt also im Laufe des Winters nicht
nur eine Verschiebung des prozentualen Anteils der KE-Typen selbst, sondern die thermischen
Eigenschaften der KE sind ihrerseits am Zustandekommen cler mittleren winterlichen Tem
peraturkurve beteiligt. Auch hierbei ist ein Vergleich mit Temperaturmessungen
von Luftkörpern aufschlußreich.
Ii. Friedrichs (1930, S. 90, Abb. 20) hat die thermischen Eigenschaften von Luftkörpern an Strahl ungstagen
in Wyk (Föhr) 1928/29 gemessen und die Werte diagrammatisch dargestellt. Wir geben diese Figur wieder (Fig. 72).
Außer denjenigen Temperaturänderungen, die sich aus dem Zufall der kurzen Beobachtungszeit ergeben, vermögen