86 Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums. — 60. Band. Nr. 6/7.
Das Vorhandensein einer Schneedecke fördert die Abkühlung durch Strahlung sehr 30 ):
daher macht sie sich in dem hoch nach Norden reichenden feile Europas besonders bemerkbar
und fördert die Ausbildung eines Kaltluftkissens, das selbst bei niedrigem Luftdruck durch
aus nicht immer weggeräumt zu werden braucht. Die Schneedecke gestaltet die Kaltluftbildung
sehr hartnäckig; wir erleben es auch in Mitteleuropa immer wieder, daß es beim Vorhanden
sein einer geschlossenen ausgedehnten Schneedecke sehr viel häufigerer und kräftigerer Warm
luftvorstöße bedarf, um gegen die sich immer wieder erneuernde Kaltluft anzukommen, als
beim Fehlen einer Schneedecke. Daher sind „trockene" KE leichter verdrängt, auch wenn sie
extremen Advektivfrost mitbringen, als von Schneefall begleitete.
Gebirgszüge, welche Luftströmungen entgegenstehen, verursachen im Lee Zonen der
Aufheiterung, die je nach der Intensität der Luftströmung, je nach der Breitenlage und je nach
dem Vorhandensein einer Schneelage begrenzte Streifen cler Kaltluftbildung darstellen. Bei
spiele aus unserem Untersuchungsbereich bietet vor allen Dingen Innerschweden entlang dem
Gebirgsfuße. Westliche Luftströmungen verlieren im Gebirge selbst ihre Feuchtigkeit, werden
durch die in Schnee gehüllte Erdoberfläche und des weiteren beim Abstieg auf der Ostseite
abgekiihlt. Die theoretisch anzunehmende adiabatische Erwärmung durch den Abstieg ist dabei
gering und wird von den die Abkühlung fördernden Bedingungen überlagert. Auch Ostengland
zeigt, wenn auch in weit geringem Maße, den Einfluß des Sperrgebirges auf die Kaltluftbildung.
Ostengland ist nicht nur deswegen der Kaltluftherd cler Britischen Inseln, weil es seiner Lage
nach eher von kontinentalen Kaltluftmassen erreicht wird, sondern weil bei nordwestlicher bzw.
westlicher Luftzufuhr die Tendenz zur Aufheiterung über den ostenglischen Flachländern vor
handen ist, welche, insbesondere bei clen maritimpolaren Luftkörpern, die Abkühlung durch
Ausstrahlungswirkung zur Geltung kommen läßt.
Es liegt nahe, auch die Alpen als Beispiel für diesen Effekt heranzuziehen, jedoch liegen hier die Dinge anders:
südliche Luftströmungen, die in Hochbayern die föhnige Aufheiterung nördlich der Alpen bringen, sind zu wann
und die Advektion aus S zu intensiv, als daß sidrin cler Aufheiterungszone die Ausstrahlung stark bemerkbar machen
könnte. Also ein Gegensatz zu den skandinavischen Verhältnissen, die wir oben schilderten! Im ganzen mitteleuropä
ischen Bereich, auch dem gebirgigen, überwiegt daher die Kaltluftbildung unter Ausstrahlungswirkung im Bereich
hohen Luftdruckes bei geringer Luftbewegung. Lediglidi im Bereich der polarmaritimen Luftkörper in Nordwest-
enropa kann sich Kaltluftbildung nicht nur unter Hochdruckeinfluß, der hier an sich selten ist, sondern auch im
zyklonalcn Strömungsfeld im Lee von Gebirgen bei polaren Luftmassen einsteileil. Im großen und ganzen ist jedoch
die autoehthone Kaltluftbildung in diesem Gebiet Europas geringfügig: wir spüren sie nur zeitweilig. Vereint wirken
beide Tendenzen in Nordeuropa, wenngleich hier auch die antizyklonale Abkühlung unter dem Einfluß cler Aus
strahlung weit voransteht, und dagegen die Abkühlung bei zyklonaler Westwetterlage im Gebirgsschatten zurückbleibt.
Obschon eine Betrachtung der Kaltluftbildung streng genommen nicht zum Thema gehört,
da sie eine Voraussetzung der KE bildet und nicht mit ihnen selbst zu identifizieren ist, so
nimmt sie jedoeb in vielen Teilen Europas wesentlichen Anteil an dem weiteren Schicksal eines
Kaltluftvorstoßes, gestaltet ihn um, akzentuiert ihn oder baut einen KE selbständig auf. Nament
lich in Skandinavien und in Mitteleuropa ist cler Übergang von dem sich bildenden Kaltluft-
kissen zu einem aktiven KE fließend. In Osteuropa dagegen, das wir hier aus diesem Grunde
auch nicht behandelt haben, überlagert die örtliche Kaltluftbildung die Luftmassenadvektion
meistens. Die Einflüsse der Ausstrahlung bei der Erhaltung oder Ausdehnung von KE wachsen
daher mit der Entfernung von der Küste. Wie schon Wagner (1928 [a]) betont, herrscht auf
dem küstenfernen Festland die Solarkonstante des Klimas mit ihrem durch den Sonnenstand
bedingten gleichmäßigen Auf und Ab: denn Schwankungen der ozeanischen Zirkulation, welche
auf das Maß der winterlichen Ausstrahlung störend oder verstärkend ein wirken, verschwänden
mit zunehmender Küstenferne.
Da nun z. B. ein NW-KE in dem Bereich stärkster ozeanischer Zirkulation beheimatet ist,
ein solcher aus SO dagegen infolge seiner kontinentalen Herkunft dieser weitgehend entzogen
ist, ergibt sich aus dieser Tatsache rein deduktiv, daß Nordwestluftvorstöße als voll ozeanisch
und von Strahlung weniger beeinflußt stärker mit der allgemeinen Zirkulation schwanken als
kontinentale Südostluftvorstöße mit relativ unveränderten Ausstrahlungsmöglichkeiten in Süd-
30 ) Nach A n g st r ö m (1919 [a], S. 12) wird eine 500 m mächtige Luftschicht über einer Schneedecke in 24 Stunden
bei günstigsten Strahlungsbedingungen um > 14° abgekühlt!