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Full text: 60, 1940

Joachim Blüihgcu: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbrüche in Europa 
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A. Vorwort 
Diese Arbeit stellt eine Auswertung von Wetterkarten unter einem bestimmten dynamisch- 
klimatologisdien Gesichtspunkt für ein geographisches Ziel clar: der Antrieb und die breitere 
Grundlage dazu war aber das allwinterlich wiederkehrende bewußte Erleben einer bestimmten 
Witterungserscheinung mannigfacher Prägung: eines Kaltluftvorstoßes. Kaum ein Vor 
gang im Wettergeschehen vermag landschaftlich wie witterungsmäßig so eindrucksvolle Wir 
kungen von oft wirtschaftlicher Tragweite zu erzeugen wie ein Kaltlufteinbruch während des 
Winterhalbjahres in unseren Breiten, und kaum ein Witterungsvorgang prägt sich den mensch 
lichen Sinnen während dieser Zeit nachhaltiger ein. Seien es die heftigen Schneeschauer aus 
Nordwesten, die mit dräuenden Wolkenpropfen heranziehen, mit ihren grauen, schleppenden 
Niederschlagsschwaden den weichenden hellen Himmelsstreif verhängen, bis schließlich im 
dämmrigen Tageslicht die Schnee- und Graupelmassen in schrägen Stößen dahinfegen und in 
oft kürzester Zeit Bäume vom Stamme bis zur kleinsten Astspitze auf der Wetterseite weiß 
überkleiden: —- oder seien es die fast unmerklich sich verschiebenden Kältewellen aus 
dem eisigen Nordosten, deren durchdringender, beharrlicher Frost ohne Schneefall clas regen 
getränkte Land zum plötzlichen Erstarren bringt oder den Tausdbnee auf den Ästen wie zu 
ebener Erde hart verkrustet, während die Luft unter grauen Schichtwolken unwirklich klar 
und splittertrocken in gleichmäßigem, eisigem Winde das Land überweht: oder seien 
es die nebligen Rauhreiftage mit gelindem Frost bei stiller Luft und tagelangem Mittwinter 
dämmer. während alle Zweige und Zäune in märchenhaftem Reifbehang prangen, um beim 
ersten, den Nebel durchbrechenden Sonnenstrahl in glitzerndem Zauber zu funkeln; — 
oder seien es schließlich jene anhaltenden, steifen Winde aus Süclost mit tiefen Frostgraden, 
die kaum die Mittagssonne mildert, die alle Gewässer in einen dicken Eispanzer schlagen und 
die baren Felder mit der jungen Saat zum Auswintern bringen, während langsam hohe Wolken 
Aufziehen, einen immer dichteren Schleier vor die Sonne breiten, und die Winde sich schließ 
lich in ergiebigen Schneestürmen mit folgenschweren Verwehungen austoben. — So vermittelt 
der Frost in der Verknüpfung mit der Landschaft und seinen atmosphärischen Begleiterschei 
nungen eindringliches Erleben vielfältiger Art. das gewissermaßen die Intuition für die vor 
liegende Arbeit bedeutete. Aus diesem Erleben erwuchs cler Versuch des wissenschaftlichen 
Erfassens der Kaltluftvorstöße als eines geographischen Objekts, clas in zeitlichem und regio 
nalem Wechsel immer und überall mit dem Raume unlösbar verknüpft ist und gleichzeitig 
vom Menschen als Einheit im Wettergeschehen empfunden wird, also auch in dieser Beziehung 
alles andere als eine Abstraktion bedeutet. 
Bei einer Behandlung der Kaltlufteinbrüche erhebt sich natürlicherweise clas Bedürfnis nach 
einer Parallelarbeit über die Warmluftvorstöße, um auf diese W r eise zu einer Synthese des 
Winters zu gelangen, welche selbstverständlich mit cler Kaltluft allein nicht erreicht werden 
kann, zumal nicht in unserem Untersudhungsgebiet. Warmluftvorstöße sind jedoch bei weitem 
nicht so dankbare Studienobjekte innerhalb einer dynamischen Klimatologie wie gerade Kalt 
lufteinbrüche. da sie ihren Sitz vielfach in einer Aufgleitfläche bzw. einer vom Boden ab 
gehobenen Luftschicht haben. Das hatte bereits Großmann (1900, S. 4) erkannt, wenn er 
schreibt: ..Während wir Kältewellen kennen und im Winter in vielen Fällen bei den Perioden 
des schärfsten Frostes den Lufttransport aus dem Kältegebiet im Osten auf den Wetterkarten 
mit Sicherheit verfolgen können, dürfen wir von eigentlichen Wärmewellen nur mit Einschrän 
kung sprechen." Am ehesten ist dies wohl noch bei den winterlichen Warmluftvorstößen der 
Fall. 1 ) Aber nicht allein dieser Unterschied im Objekt selbst war es, der mich zu einer ge- 
*) Vgl. aber hierzu die Arbeit v. Fickers (1911), die den Unterschied zwischen Kälte- und Wärmewelleii klar 
hervortreten läßt.
	        
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