Martin Rodewald: Das Dreimasseneck als zyklogenetischer Ort. 27
Wir erwähnen dies, weil z. B. E. Glierzi behauptet, das „Auge des Sturmes“ sei ein ausschließliches
Reservat der tropischen Zyklonen, die dadurch und durch „das Fehlen jeglicher Böenlinie im Zentrum“
scharf von den außertropischen Zyklonen unterschieden seien (55, S. 63). Es erscheint von Bedeutung, daß
mit den auf ein Dreimasseneck zurückgehenden, also deutlich „frontgeborenen“ subtropischen Zyklonen der
kalten Jahreszeit ein Übergangsglied zwischen tropischen und außer tropischen Zy
klonen gegeben ist, das den ersteren vielleicht sogar-nähersteht.
Was dabei die „fehlende Böenlinie“ (Kaltfront) betrifft, so hat man deren Rest vielleicht in der Kon
vergenzlinie vor sich, die das windstille Zentrum ringförmig umschließt (vgl. Abb. 33, S. 26). Diese Konvergenz
linie, mit absteigenden Luftmassen auf der Innenseite (Aufheiterung!), Starkregen und Gewittern über ihr
und auf der Außenseite kann man sich entstanden denken durch die Aufrollung der Okklusionsfront (Kaltfront).
Aber wenden wir uns mm der Entstehung des Sturmtiefs vom 6. Februar 1937 zu! Abbildung 34,
Tafel 10, zeigt die Wetterlage vom 4. Februar früh, und wir bemerken zunächst einen mächtigen Kaltluft
strom, der zwischen dem ostkanadischen Hoch von 1035 mb und dem azorennahen Tief von 975 mb den
gesamten Westatlantik bis in niedrige Breiten hinab überflutet. Bermuda hat vom 2. bis 4. Februar wieder
holt Hagelschauer hei stürmischem Nordwest. Im Raume südwestlich Bermuda divergiert die Polarluftströmung
stark. Der nach Westen abzweigende, über Florida und den nördlichen Golf von Mexiko streichende Strom
grenzt unscharf an die weiter südlich ihm parallel fließende Tropikluft. Diese scheint iin westlichen Mexiko
golf eine leichte Nordwärtsbewegung zu beginnen; Regen an cler texanischen Golfküstc hei ablandigem
Bodenwind deutet auf ihr Aufgleiten hin.
Über Nordamerika fällt ein zweites mächtiges Polarluft-Hoch von 1040 mb auf, das Nordwestkanada
überdeckt und dessen Kaltmasse, hinter der Front eines Minnesota-Tiefs, gegen das Mississippigebiet vor
stößt. Das wärmere Great Basin-Hoch, am Boden nur durch einen kleinen Kern von 1030 mb repräsentiert,
steuert die frische Polarluftaustropfung nach Südost, in Richtung auf die im Mexikogolf fast stationär
liegende, „virtuelle“ Front der Tropikluft.
24 Stunden später (vgl. Abb. 35, Tafel 11) ist das Minnesota-Tief verstärkt über dem Gebiet der Großen
Seen angelangt, das andine Hoch ist nachgerückt; die Front des Kaltlufteinbruchs aus Nordwest hat bereits
die Appalachen überschritten und Nordflorida erreicht. Damit hat sie Anschluß an die Front der Tropikluft
westlich Florida gewonnen und hier ein Dreimasseneck hergestellt. In geringer Höhe — vielleicht 1 km —
scheint allerdings die Tropikluft schon über die Bahamas hinaus nach Nordosten vorgedrungen zu sein; das
Luftdruckfeld daselbst und cler Aufgleitregen südlich Kap Hatteras zeigen eine Höhenwarmfront an. An ihr
hat sich vor dem Dreimasseneck bereits ein Teiltief von 1015 mb südwestlich Kap Hatteras gebildet.
Dies Teiltief, von Winden Stärke 3 bis 4 umgeben, nimmt nun eine jähe Entwicklung: in Tagesfrist
wird daraus eine Sturm Zyklone mit Orkan im Innern! Das Zentrum vertieft sich in
24 Stunden um 45 mb. Die Wetterkarte vom 6. Februar früh (Abb. 36, Tafel 12) zeigt das Sturmtief, dessen
Kaltfront Bermuda bereits passiert hat, ostnordöstlich Kap Hatteras schon auf dem Höhepunkt. Bemerkens
wert ist seine geringe Zuggeschwindigkeit — weniger als 30 km/h —mit der eine außerordentliche Ver
schärfung des Luftdruckgradienten auf der Rückseite der Zyklone gekoppelt ist. Hier muß der Orkan, den
D. „Borinquen“ angibt, mit mindestens 50 m/sec herrschen. Auch in Bermuda seßt nach dem Kaltfront
durchgang wieder Luftdruckfall bis auf 990 mb ein, wobei der Westwind am 6. Februar mittags orkanartig
auffrischt (56). Eine Bö kurz vor 13 h hat 4 3 m/sec ; später gibt es Schauer mit Hagel.
Der Warmfrontdurchgang in Bermuda, am 5. Februar kurz nach21 h MGZ, geschah nach dortiger Angabe
(56, S. 17) mit einer Bö von 41 m/sec; dazu wird Büßen verzeichnet. Wie die Abbildung 35 erkennen läßt,
hat vordem auch Key West südlich Florida in Warmfrontnähe Gewitter. Feuchtlabile Umlagerungen, wie sie
in der frischen Polarluft über dem Warmwassergebiet stattfinden — Bermuda gibt z. B. am 6. Februar,
10 h MGZ, Gewitter —, scheinen also auch in der aufsteigenden Tropikluft ihren Plaß zu haben und eine
Rolle bei dem Energiegewinn der Störung zu spielen.
Sehr auffällig ist wieder, wie das „Muttertief“ über der amerikanischen Seenregion vom 5. zum
6. Februar gänzlich verschwindet, nachdem es seine Aufgabe als Kaltluftzubringer für die Dreimasseneck
bildung erfüllt hat.